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Archiv-Artikel

Schweigegelübde bis zur Kanzlerrede

SPD-Abgeordnete akzeptieren Mahnung ihres Fraktionschefs, eigene Ideen „am besten gar nicht“ zu äußern

BERLIN taz ■ SPD-Fraktionschef Franz Müntefering ist dafür bekannt, dass er auf Disziplin in den eigenen Reihen Wert legt. Als es vor zwei Jahren um die Bundestagsentscheidung für den Mazedonieneinsatz der Bundeswehr ging, drohte der damalige Generalsekretär den Abweichlern in der SPD-Fraktion unverhohlen mit Konsequenzen bei der nächsten Listenaufstellung.

Nun hat Müntefering wieder zugeschlagen – allerdings etwas subtiler. Wieder appellierte er an die Disziplin der „lieben Genossinnen und Genossen“, aber diesmal nicht in aller Öffentlichkeit, sondern in einem internen Brief an die SPD-Bundestagsabgeordneten. Die Botschaft ist jedoch ebenso unmissverständlich. Bis zur Rede des Bundeskanzlers „zur Lage der Nation“ am 14. März sollen die Abgeordneten bitte schön den Mund halten. Wörtlich heißt es in dem Schreiben: „Für alle Ideen, Vorvorschläge, Ratschläge und Meinungen, die vorher von Einzelnen gezielt verbreitet werden, gilt: Auf eigene Gefahr, am besten gar nicht.“

Da Müntefering aber diesmal nicht mit Sanktionen drohte, reagieren die Angesprochenen gelassen. „Ich fühle mich nicht diszipliniert“, sagte SPD-Fraktionsvize Michael Müller der taz. Er glaubt, die Mahnung „betrifft alle, nicht nur die Fraktion“. Wahrscheinlich habe sich Müntefering auf „die Kakophonie beim Kündigungsschutz“ bezogen. Und die sei „eher von Regierungsseite“ ausgelöst worden.

Auch der Haushaltspolitiker Walter Schöler hat den Brief „nicht als Denkverbot verstanden“. Über sein Fachgebiet dürfe er natürlich weiter reden. Schöler interpretiert die „Bitte“ so, konkrete Reformvorschläge „nicht auf dem Markt zu tragen“. Das könne er nur unterstützen. An der Basis ärgere man sich über die unübersichtliche Darstellung der SPD. Schölers Konsequenz: „Was ich Franz Müntefering zu sagen habe, sage ich ihm persönlich.“ LUKAS WALLRAFF