: Ein Architekt, der zum Erinnern zwingt
Wollte in den 90er-Jahren des 20. Jahrhunderts eine Stadt endlich in die Hitlisten der modernen Architektur aufsteigen, engagierte sie den Briten Norman Foster oder den Amerikaner Frank Gehry. Im Wettlauf um die furiosesten Häuser waren Foster (Umbau des Reichstags) und Gehry (Guggenheim-Museum in Bilbao) Garanten für Wunderwerke der Baukunst und architekturverrückte Innovationen.
Heute holen sich die Stadtoberen von Kopenhagen, jüngst Bremen, oder gerade New York, den Architekten Daniel Libeskind – verspricht man sich doch Zweierlei vom neuen Superstar: spektakuläre Architektur und eine „Verbesserung der Marktchancen“ auf dem kulturellen und wirtschaftlichen Sektor. So formulierte es der Förderkreis zur Errichtung des Bremer „Musicons“, einer in sich verschachtelten Konzertarena.
Seit Daniel Libeskind mit dem Jüdischen Museum von Berlin 1999 den Architektur-Coup schlechthin gelandet hat, gehen im Berliner „Studio Libeskind“ haufenweise Aufträge für Projekte als Motor der Stadtentwicklungen ein: San Fancisco plant ein Jüdisches Museum, London die Erweiterung des Victoria & Albert Museum und Guadalajara (Mexiko) will eine Universität von Libeskind. Nach dem Zuschlag für Ground Zero wird Libeskind das kleine Charlottenburger Studio, in dem sich die schnittbogenähnlichen Entwürfe und Modelle türmen, wohl aufgeben.
Erstaunlich ist, dass Daniel Libeskind als Architekt bis dato erst drei Bauten realisiert hat und zudem erst recht spät in das Metier eingestiegen ist. Libeskind wurde 1946 in Lodz (Polen) geboren, emigrierte mit seinen jüdischen Eltern nach New York und nahm 1965 die amerikanische Staatsbürgerschaft an. Er studierte zunächst Musik in Israel sowie New York und arbeitete als professioneller Musiker. Erst 1972, nach einem Zweitstudium der Kunst und Architektur in New York, legte er ein Examen mit einem Postgraduierten-Abschluss in Architekturgeschichte an der School of Comparative Studies in Essex ab.
Bis zu seinem Umzug 1990 nach Berlin und dem Wettbewerbserfolg für das Jüdische Museum Berlin hatte sich Libeskind zwar nur mit Essays zu Architektur, Ausstellungskonzepten und Bühnenbildern hervorgetan, zugleich aber einen theoretischen Unterbau seines Stils gelegt. Bauwerke, so der Architekt über das Jüdische Museum, sollten nicht nur hoch, lang und weit, sondern als differenzierte „emotionale Räume“ erlebbar sein. Wie die Vielzahl der Gefühle gestaltet sich der umbaute Raum also nicht als klares Kontinuum, sondern besteht aus Brüchen, Leerstellen („Voids“), collagehaft anmutenden Linien, Flächen und Räumen. Das Haus wird dekonstruiert, die Formen prallen aufeinander, streben davon.
Botschaft der Libeskindschen Bauskulpturen für die Tragödien dieser Welt ist – wie etwa beim Jüdischen Museum oder dem ebenso splatterhaft komponierten Nussbaum-Museum in Osnabrück (1998) – die Verwirrung, die das Haus wecken soll. Die Besucher sollen verstört und zur Reflexion, Trauer aber auch Hoffnung über die Geschichte und das Objekt gedrängt werden. „Von dem Moment an, wo man das Jüdische Museum betritt“, schrieb die Kritikerin Victoria Newhouse, „fühlt man sich entwurzelt“.
Seither pflegt Libeskind diese Architektureffekte. Das gerade 2003 fertig gestellte Imperial War Museum in Manchester ist ein solcher rund-verdrehter Alu-Baukörper samt Turm, „in Fragmente zerschmettert und neu geformt“, so Libeskind. Und auch in Ground Zero setzt der Oberdekonstruktivist die Chiffren aus Erinnerung, Entwurzelung und Hoffnung: ein Architekturevent à la Libeskind.
ROLF LAUTENSCHLÄGER