: Die WTO abschaffen?
nein
Die Welthandelsorganisation muss erhalten und reformiert werden, meint Barbara Unmüßig. Schwellen- und Entwicklungsländer haben keinen besseren Rahmen, um für ihre Interessen zu streiten
Wer jetzt für die Abschaffung der WTO plädiert, scheint sich nicht bewusst zu sein, dass es auf der gescheiterten WTO-Konferenz in Cancún im vergangenen Jahr eine historische Zäsur gegeben hat. Bislang hat die Welthandelsorganisation (WTO) mit ihren Grundprinzipien und ihrem Regelwerk die Interessen der Industrieländer massiv unterstützt. Doch spätestens seit Cancún haben die großen Schwellenländer begriffen, dass sie mit der WTO einen zwar unvollkommenen, aber immerhin einen multilateralen Rahmen haben, in dem sie ihr gewachsenes politisches und wirtschaftliches Gewicht zur Geltung bringen können.
Auffällig ist, dass die WTO-Gegner keine realistische Alternative zu bieten haben, wie die gegenwärtige Welthandelsordnung gestaltet werden soll. Was soll nach dem „Entgleisen der WTO“ eigentlich kommen? Welchen Regeln, Standards und Verfahren soll eine Welthandelsordnung folgen, wenn sie Entwicklungsländern und ihrer Bevölkerung nutzen soll? Bilaterale Verhandlungen, wie sie unter den gegenwärtigen wirtschaftspolitischen Machtverhältnissen ausgebaut werden, können hierzu keine Alternative sein.
Eine WTO mit einem ausufernden Aufgabenspektrum und Allmachtsanspruch, die die Freihandelslogik in alle Wirtschafts- und Lebensbereiche ausdehnt, ist nicht wünschenswert. Sie sollte sich wieder auf ihre ursprünglichen Aufgaben wie die Regulierung von Zöllen, Tarifen und handelsverzerrenden Subventionen konzentrieren.
Längst haben die Industrieländer begriffen, dass die WTO die ihr einst zugedachte Monopolstellung gar nicht erfüllen wird. Zu sehr krankt mittlerweile auch die WTO an den klassischen Problemen des Multilateralismus: politisch unkalkulierbar, störanfällig, ineffizient, zu langsam. Industrieländer, allen voran die USA, betrachten nicht zuletzt deshalb die WTO schon lange als ein Instrument unter vielen und verfolgen ihre aggressivste Handelsstrategie außerhalb der WTO.
Aber auch viele wichtige Entwicklungsländer, vor allem regionale Subhegemone wie Brasilien, Indien und Südafrika oder die südostasiatischen Schwellenländer, halten Ausschau nach den handelspolitischen Vorteilen bi- und regionaler Handelsabkommen, wenngleich auch immer als Ergänzung oder Konkretisierung des multilateralen WTO-Rahmens.
Doch ohne die WTO würden die ärmsten Entwicklungsländer – schon heute Opfer protektionistischer Maßnahmen auch der Schwellenländer – dabei auf der Strecke bleiben. Sie wären die Opfer ausschließlich regionaler Handelsblöcke, liberalisiert nach innen, abgeschottet nach außen. Nicht unbedingt eine Vision für eine „andere“ gerechtere Welt, wie sie die Globalisierungskritiker fordern!
Allerdings: Das Regelwerk der WTO gehört reformiert. Denn die Freihandelsdoktrin der WTO ist auch keine Vision für eine gerechtere Welt. Der Zwang zur Liberalisierung und Privatisierung um jeden Preis unterminiert die politischen Spielräume für unterschiedliche Entwicklungsstrategien. Die Industrieländer müssen endlich die Verschiedenheit nationaler Entwicklungspolitiken anerkennen. Zu den Reformen muss gehören, dass die WTO geltendes Völkerrecht, Sozial-, Menschenrechts- und Umweltstandards endlich als übergreifend und für die WTO verbindlich anerkennt, sowie demokratisch transparente Regeln, die dem Ausschluss der Entwicklungsländer aus Entscheidungsprozessen ein Ende machen. Ihre neu gewonnene Verhandlungsmacht sollten die Entwicklungsländer für eine konsequente Reformagenda nutzen. Einen besseren Rahmen als die WTO gibt es für sie nicht, um für ihre handelspolitischen Interessen zu streiten. Denn keine andere multilaterale Organisation sonst auf der Welt verfügt über einen Streitschlichtungsmechanismus, der unilateralistische Machtansprüche und Erpressungspotenziale durch Handelspolitik erschwert. Und anders als der IWF und die Weltbank ist sie die einzige wirtschaftspolitische Organisation der Welt, die Entwicklungsländern gleiches Stimmrecht garantiert.
Fotohinweis: BARBARA UNMÜSSIG ist Vorstandsmitglied der Heinrich-Böll-Stiftung. Ihr Arbeitsschwerpunkt ist Nord-Süd-Politik und internationale Umweltpolitik