Der fröhliche Realismus

Es herrscht Tauwetter in den deutsch-kubanischen Kulturbeziehungen – und der Maler Siegfried Kaden organisierte mit zögerlicher Unterstützung bereits eine Kunstausstellung in Havanna

Alle Welt spricht davon, dass in Kuba bald ein Goethe-Institut entstehen soll

von Henky Hentschel

„Nennen wir es einfach Solidarität!“, sagt Siegfried Kaden. „Ich bin doch auch mal auf der Seite der Verlierer gestanden und habe keine Ausstellungen bekommen. Jetzt kann ich eben anderen diese Möglichkeit bieten.“

Ich schreibe mir das hinter die Ohren und beginne meinen Rundgang durch die Ausstellung. Zehn monumentale Werke, neun davon schwarzweiß, eines in Farbe, hängen an den Innenwänden des nördlichen Hofs im Kloster des Heiligen Franziskus von Assisi genau gegenüber dem Zollgebäude an der Hafeneinfahrt von Havanna. Zur Überraschung der Besucher verschmelzen die Bilder mit der kolonialen Architektur, als hingen sie da seit Jahrhunderten. Oder als habe man das Kloster um sie herum gebaut. Die ehrwürdigen Mauern, Säulen und Bögen sind es gewohnt, spirituelle Botschaften auszusenden: ab 1591 schwärmten von diesem Kloster die Franziskanermönche aus, um den Indianern auf dem Festland klar zu machen, wo der Bartel den Most holt, beziehungsweise dass das Christentum in Form der katholischen Kirche doch keine Gnade kennt. Die Indianer starben, die Kirche überlebte und das Kloster sendet weiter Botschaften aus, in dem hier beschriebenen Fall allerdings nicht an die gesamte Menschheit, sondern nur an deren kubanischen Teil.

„Cuba arriba“, „Cuba Obenauf“ ist der Titel der Ausstellung, und ein einzelner Mann, der Münchner Maler Siegfried Kaden, hat sie ins Leben gerufen. Der kubanische Rat für Bildende Kunst, das hiesige Kultusministerium und die Vereinigung kubanischer Künstler und Schriftsteller haben ihm dabei zögernd geholfen, und als der Deutsche die Künstler auswählte und dabei nicht ganz im Sinne der Institutionen verfuhr, machte er sich eher unbeliebt.

Aber jetzt hängen sie da, die Bilder, und zwar an einem der besten Orte, die man sich für eine derartige Ausstellung wünschen kann, riesige Formate, die meisten an die zwölf Quadratmeter gross. „Sie haben so kleine Ateliers oder auch gar keine, dass sie ihre Bilder Blatt für Blatt einzeln malen und erst an einem anderen, größeren Ort zusammenfügen können. Hier sehen sie dann zum ersten Mal ihr Werk in voller Größe“, sagt Kaden.

Dass er überhaupt zum Zuge kam, hängt wohl damit zusammen, dass die deutsch-kubanischen Kulturbeziehungen fast schlagartig aus ihrem Dornröschenschlaf erwacht sind. Seit Carlos Lage, der kubanische Vizepräsident, in Deutschland war, seit Dietmar Geisendorf, der Leiter des Goethe-Instituts in Mexiko zugleich Kulturattaché der Botschaft in Havanna ist und sein Chef, der Botschafter Bernd Wulffen, sich ziemlich ins Zeug legt, ist Tauwetter angesagt.

Die Musikmesse „Cubadisco“ dieses Jahr und die Buchmesse nächstes Jahr stehen unter deutscher Schirmherrschaft. Demnächst soll man im kubanischen Fernsehen Deutsch lernen können, und alle Welt spricht davon, dass es hier bald ein Goethe-Institut geben wird. Die Verhandlungen stehen offenbar vor dem Abschluss. Das war die Konjunktur, die der solidarische Kaden brauchte, um seine Sache durchzuziehen. Vier Jahre hat es gedauert – auf dieser Insel eher eine kurze Zeit für ein derartiges Vorhaben –, und dann war es so weit, zehn kubanische Künstler – keineswegs die Stars der Truppe –, bekamen ihre Chance und nutzten sie. Die Zehn sind an die Grenzen ihrer Möglichkeiten gegangen. Viele haben ihre Thematik allerdings aus der Magie und aus den afrokubanischen Religionen geholt, eine Art Fluchtweg aus der offenbaren Unveränderbarkeit der kubanischen Situation, der kubanischen Tragödie.

Aber es gibt auch explizit kritische Töne. Da ist zum Beispiel Ismael Morejón. Er hat ein Bild gemalt, das aussieht wie der Urknall oder als explodiere eine Bombe. Die Bombe ist der Alltag, dieser nervtötende kubanische Alltag, in dem einer ganz schnell und ungewohnt Routinier wird. „Um eins mein Maultier, um zwei meine Uhr, um drei mein Kaffee, um vier meine Katze“, diese Zeilen schwirren mit schwarzen Materialteilen auf den Bildrand zu, während auf der anderen Seite ein wütender Stier zu sehen ist, der die Explosion offenbar ausgelöst hat – zweifellos der Maler selbst.

Jorge Delgado, der sein Geld als Dekorateur beim Staatsfernsehen verdient, aber schon international ausgestellt hat, verschanzt sich ein wenig hinter der Santaria und will den Betrachter in die Welt der Magie schicken, aber wenn er „das Unsichtbare“ malt, dann doch mit dem kritischen Hintergedanken, dass wer das Unsichtbare sieht und es verändert, schließlich auch an der Veränderung der sichtbaren Zustände mitwirkt. Und so richtig zur Sache kommt Raúl Camilo, der offenbar vor nicht langer Zeit einem gewissen Pablo Picasso begegnet sein muss. Sein Thema ist die Zerrissenheit der kubanischen Familien, die Katastrophe der kubanisch-amerikanischen Beziehungen, das Leid, dem die Menschen auf der Insel nicht ausweichen können. Camilos Vater und sein Bruder leben in den USA, und er kann sie nicht besuchen. Wie weh ihm das tut, zeigt seine Arbeit: Dämonen und Mauern hat er gemalt – man kann ihn verstehen. Der Titel: Schwarze Tränen.

Ganz böse ist offenbar Rolando Vazquez geworden, der mutig auf die kritische Toleranz des Staates setzt: auf seiner Arbeit spucken neun Köpfe einem zehnten auf den Kopf. „Spucknapf“ hat er das Werk betitelt. Siegfried Kaden will die Ausstellung nach Deutschland bringen. Er hat für die Sache gekämpft und ist nicht müde geworden. Jetzt kämpft er in Deutschland um den Platz, den die Bilder seiner Künstler verdienen.