piwik no script img

Archiv-Artikel

Deutschland sucht den Superrhetoriker

Wie man sich nicht um Job und Karriere redet: Seit einem Jahr besitzt das Bonner Institut für Rhetorik und Kommunikation eine Dependance in Berlin. Seine Kunden rekrutiert es aus den Führungszirkeln in Wirtschaft und Politik, denen es die Kunst der richtigen Rede beibringt. Ein Erfahrungsbericht

VON SANDRA LÖHR

„Gib alles!“, schreit der Mann hinter der Videokamera. „Runter mit den Pfoten, und bleibst du wohl mit beiden Beinen stehen. Du tänzelst ja wie ein Tanzbär, wie ein fremdbestimmter Sauerkrautstampfer!“ Der Redner an dem kleinen Holzpult guckt erst überrascht, lacht kurz und versucht danach gehorsam, seinen Füßen die verlangte Standfestigkeit und seinen zappligen Händen die vorher einstudierten ruhigen Gesten abzuringen. „Ja, genau, schön! So ist es besser.“ Der Mann hinter der Videokamera ist jetzt zufrieden und entlässt den Redner auf seinen Platz. Dann tritt er nach vorn und macht noch mal vor, wie sich mit Gestik, ausgeprägter Mimik und donnernder Stimme die Zuhörer begeistern lassen.

Montagmorgen in Berlin-Schöneberg. Mit vier anderen Teilnehmern in einem hellen, freundlichen Zimmer, an dessen Wänden großformatige Bilder mit beruhigenden Farben hängen. Vor uns sind kleine Tischchen aufgebaut, auf denen ein Namensschild, ein Kugelschreiber und ein Wasserglas platziert sind. In der einen Ecke steht ein Fernseher, und in der Mitte des Raums thront das Utensil, an das wir im Laufe des Tages immer wieder herantreten müssen, um den eigenen Schweinehund zu überwinden. Der sich bei den meisten daran bemerkbar macht, lieber andere reden zu lassen und sich auf kurze Statements zu beschränken, weil die eigene Stimme zu hoch ist oder man beim Reden vor Publikum sowieso immer einen roten Kopf bekommt. Und irgendwann merkt, dass die Leute bei dem mühsam ausgearbeiteten Referat oder Vortrag spätestens nach 15 Minuten abschalten.

Hier in den Räumen der Berliner Dependance des „Instituts für Rhetorik und Kommunikation“ aber gibt es kein Verstecken. Jeder muss immer wieder nach vorne, denn für die meisten Teilnehmer des zweitägigen Seminars „Rhetorik – Instrument der Kommunikation“ geht es ums Ganze: um den Erfolg und um die Karriere. Hier lassen Firmen wie DaimlerChrysler, die Telekom oder Bayer Leverkusen ihre Mitarbeiter schulen, und auch angehende Politiker greifen auf die Unterstützung des Instituts zurück. Im Raum Bonn hat es schon seit den Siebzigern zahlreichen Managern, Freiberuflern und Volksvertretern die Kunst der richtigen Rede vermittelt, nun auch in Berlin.

Eigentlich ist reden ja nicht so schwer. Doch schon bei den ersten Übungen merkt man, wie schwierig es ist, langsam, laut und deutlich zu sprechen und dabei auch noch richtig zu atmen. Dann soll man das Gesagte mit Gesten unterstützen, wie man sie aus dem Fernsehen kennt: Handflächen nach außen, wenn man Vertrauen gewinnen will, ab und zu die Hände vor dem Bauch zusammenlegen und immer wieder das Publikum direkt ansprechen, um die Aufmerksamkeit wach zu halten. Das ist ganz wichtig, lernen wir, und trägt zur so genannten Distanzverringerung bei. Die Schultern zurück, den Kopf hoch halten und Optimismus verbreiten kann auch nicht schaden. An sich selbst glauben, das sollte man natürlich auch, und sich nicht entschuldigen.

Das Ganze wird auf Video aufgezeichnet. Natürlich ist es am Anfang sehr schrecklich, sich selbst auf dem Bildschirm zu sehen und zu beobachten, wie man Endungen verschluckt, sich mit „Ähm“, „Öhm“ und sonstigen Füllwörtern von Satz zu Satz rettet und dabei auch noch so komisch hin und her wippt. Dinge, die einem vorher nie aufgefallen sind. War man der Sache gegenüber vorher auch skeptisch eingestellt, ist man spätestens nach den ersten zwei Stunden davon überzeugt, dass es ab jetzt nur noch besser werden kann und einem ein bisschen Übung in Rhetorik nicht schaden kann.

In der Antike erfunden und im Mittelalter noch als eigenständiges Fach an der Universität gelehrt, führte die Rhetorik in Deutschland, nach dem Missbrauch während des Nationalsozialismus, in den Fünfziger- und Sechzigerjahren eher ein Schattendasein: Sie galt als anrüchig. Das hat sich mittlerweile geändert. Spätestens seit den Siebziger- und Achtzigerjahren ist die Rhetorik in Deutschland wieder salonfähig geworden.

Momentan boomt der Markt: „Der Kommunikationsstil in den Unternehmen ist heute ganz anders, die Hierarchien sind flacher geworden, und die Leute müssen in ihrem Job mehr kommunizieren als früher. Aber vielen fällt das eben schwer“, sagt Günter Zienterra. Der Rhetoriktrainer und ausgebildete Schauspieler ist seit über 36 Jahren im Geschäft. In den letzten Jahren kamen immer mehr Anfragen – auch aus dem Raum Berlin. „Für viele Leute ist die schlechte Wirtschaftslage existenzbedrohend. Da wird dann mit allen Mitteln versucht, den Job zu behalten.“

Nach der Mittagspause geht es weiter. Alle sind jetzt etwas lockerer drauf, das Sprechen fällt nicht mehr so schwer wie am Anfang. In der nächsten Runde spricht man Sätze wie: „Der Kaplan klebt Pappplakate an. Der Kaplan klebt Pappplakate an. Der Kaplan klebt Pappplakate an.“ Aber das ist gar nicht so einfach, wenn einem dabei ständig ins Wort gefallen wird. Günter Zienterra legt sich ins Zeug und ruft einem ständig Sachen wie „Stimmt gar nicht!“ und „Aufhören!“ zu. Mit dieser Übung soll man lernen, auch bei Zwischenrufen und sonstigen Störungen die Ruhe zu bewahren.

Ob Politiker oder Manager so lernen, auf die harsche Kritik ihrer Widersacher unbeirrt zu reagieren? Am nächsten Tag geht es noch einen Schritt weiter. Höhepunkt ist zwar die rhetorisch ausgefeilte Stegreif-Rede, die jeder Teilnehmer zum Abschluss halten muss, aber um die Stimme richtig vorzubereiten, muss man davor in die Rolle eines Jahrmarktschreiers schlüpfen, der einen Sprung einer Artistin aus 20 Meter Höhe in eine kleine Nussschale anpreist.

Dabei muss man dann alles können: deutlich und überzeugend wirken, die Leute direkt ansprechen, sich von Zwischenrufen nicht aus der Ruhe bringen lassen und souverän das Unmögliche mit lauter und fester Stimme behaupten. Politik ist eben doch Show.

Institut für Rhetorik und Kommunikation, Berlin, Geisbergstraße 39, Schöneberg. www.rhetorik-online.de