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Archiv-Artikel

Ein unsichtbarer Beamter

Ousmane Sembène hat das afrikanische Kino auf den Weg gebracht. Mit „Faat Kiné“ kommt jetzt sein siebter Spielfilm auch hier ins Kino. Ein Porträt des senegalesischen Regisseurs und Romanciers

VON MAX ANNAS

Faat Kiné, die Tankstellenbesitzerin aus Dakar und Protagonistin von Ousmane Sembènes vorletztem Film, gibt eine Party, auf der sie den eigenen Erfolg und den ihrer Kinder feiert. Nach und nach robben sich einige Männer heran. Sie wirken wie Untote, wie Gestalten aus einer fernen Vergangenheit. Der Erfolg von Faat Kiné lockt sie an, sie kommen, um auszuloten, ob für sie noch was zu holen ist.

Die konsequente Darstellung der Männer als Blindschleichen, Deppen und Schmarotzer führt regelmäßig zu schöner Verwirrung. So radikal hat sich kaum je ein männlicher Filmemacher auf die Seite der Frauen geschlagen. „Afrika wird niemals frei sein, wenn wir nicht das herausragende Heldentum unserer Frauen preisen und ehren. Frauen arbeiten viel mehr als Männer, und wenn Arbeit als solche zur Befreiung führen würde, dann wären Frauen, die täglich auf den Feldern schuften, schon lange befreit. Wenn wir nicht aufwachen, die Rolle der Frauen nicht angemessen würdigen und nicht endlich die Verantwortung mit ihnen teilen, sind wir verloren.“ Ousmane Sembène ist am 1. Januar 81 Jahre alt geworden, und mit „Faat Kiné“ kommt sein siebter von bislang acht Langfilmen in deutsche Kinos. Sembène steht für vieles zugleich. Er war einer der großen Künstler der afrikanischen Unabhängigkeit, seine Romane betrachteten diesen Prozess aus der Perspektive der Arbeiterklasse, deren Bewusstwerdung für ihn wesentlicher Teil der Emanzipation von der französischen Kolonisation war. In der 60er-Jahren war Sembène einer der Pioniere des afrikanischen Kinos, experimentierte mit Doku- und Spielfilmen, bis er den klassischen Eineinhalb- bis Zweistünder als sein Format entdeckte. Manche Sujets hat er sowohl zwischen Buchdeckeln als auch als Filme veröffentlicht, wobei er zweimal den Filmstoff zuerst entwickelte. Nach seinem Film „Guelwaar“ (1992) hatte sich Sembène mehr als acht Jahre Zeit gelassen, bevor er zuletzt zwei neue Werke fertig stellte.

Es gibt kaum einen Künstler des Kontinents, der Gelegenheit hatte, so viele historische Bruchstellen zu bearbeiten. Nach der formalen Unabhängigkeit von Europa waren das nacheinander die Ausbildung afrikanischer Eliten, für Sembène ein Quell des Bösen, und später dann die neuen Abhängigkeiten afrikanischer Länder durch Entwicklungshilfe aus dem Norden. Für Sembène hängen diese beiden Probleme eng miteinander zusammen. In „Le Mandat“ („Die Postanweisung“, das Buch stammt von 1966, der Film von 1968) lässt er einen armen Mann durch seine Gemeinde irren. Der hat Geld aus Paris geschickt bekommen, kann aber ohne einen Pass die Anweisung nicht einlösen. Ignorante Beamte lassen ihn schmählich im Stich.

Diese Hilflosigkeit ist in „Guelwaar“ (1992 als Film, als Buch 1994 erschienen) längst gewichen. Ein Dorf, eigentlich tief gespalten über einen religiösen Konflikt, versammelt sich, um einen Transport mit Nahrungsmittelhilfe aufzubringen und das Getreide in den Staub zu schütten. „Man muss seinem Nachbarn helfen, wenn sein Haus niedergebrannt ist“, kommentiert Sembène. „Aber ausländische Hilfe von westlichen Geberländern, verkleidet als so genannte internationale Kooperation, muss aufhören. Wo sind die Ergebnisse dieser Investitionen? Keine Straßen, keine Krankenhäuser, keine Schulen, keine Universitäten … Aber okay, eine korrupte bourgeoise Elite wird reicher und reicher und kriegt nie genug.“

Zum Film kam Sembène als bereits etablierter Romanschreiber. Er war als Mitglied der französischen Armee im Zweiten Weltkrieg und verbrachte die Zeit von 1948 bis 1960 in Frankreich, wo er bei Citroën und in den Docks von Marseille arbeitete. Er wurde Mitglied der Kommunistischen Partei und begann zu schreiben, zunächst in Französisch, dann in Wolof, der senegalesischen Mehrheitssprache. 1961 und 1962 studierte er in Moskau Film, denn er war trotz der Hinwendung zum Wolof unzufrieden. In einer weitgehend nicht lesenden Gesellschaft waren ihm die Möglichkeiten der Einflussnahme viel zu klein. „Ich habe immer betont, dass Kino in Afrika etwas von einer Abendschule hat. Im gegenwärtigen Zustand unserer Gesellschaften hat Kino etwas von fortlaufender Ausbildung. Aber wir müssen gute Filme machen, die unsere Kämpfe genau treffen.“

Immer wieder gefragt, wie er die Rollen als Romancier und Filmemacher unter einen Hut kriegte, antwortet Sembène gern mit einem Bild: „Man kann doch Holzfäller und Bildhauer zugleich sein.“ Der Vergleich des Künstlers mit dem Arbeiter ist typisch. „Wie kann ich als Künstler, als Zeuge meiner Zeit und Mitglied meiner Gesellschaft, meinen Beitrag leisten wie der Schneider, der Schuhmacher und alle anderen? Ich frage mich immer, warum die Gesellschaft Künstler braucht. Wir haben gewählte Politiker, die verantwortlich sein sollten für das, was sie tun. Auf der anderen Seite bin ich so etwas wie ein unsichtbarer Beamter, den die Leute immer wieder um Rat fragen. Dafür brauchen wir Künstler.“

Wenn man nach einer Leitlinie für Sembènes Schaffen sucht, stößt man immer wieder auf eine Aussage: Afrika kann es allein schaffen. „Ich bestreite den Gedanken, dass Afrikas Möglichkeiten Grenzen haben. Was uns fehlt, sind visionäre Politiker mit klaren Ideen. Unsere Führer kennen nur die Politik von Essensrationierung und Nährwert. Punkt. Aber wir leben nicht vom Brot allein. Sehen Sie auf diesen Kontinent. Nur die Künstler sind in der Lage, sich zu organisieren.“

Und die Frauen. Faat Kiné schmeißt die Tankstelle als Pächterin mit lockerer Brillanz, ihre Kinder haben alle Möglichkeiten, die ein Mittelklasseleben so mit sich bringt. Ein ganzes Netz von verwandt- und freundschaftlich verbundenen Frauen steht füreinander ein – und die Männer taugen gerade mal als Befehlsempfänger. Diese Haltung hat sich auch schon in den europäischen Entwicklungshilfeorganisationen durchgesetzt. Dort werden in den letzten Jahren bevorzugt afrikanische Frauennetzwerke unterstützt. Mit Sicherheit würde Ousmane Sembène das nicht gutheißen.