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Archiv-Artikel

Innovativer Imbiss

Der Kanzler spricht mit Industrie und Forschung über eine Erneuerungsoffensive für den Standort Deutschland

AUS BERLIN MATTHIAS URBACH

Manchmal lohnt es sich, aus der Ferne auf das eigene Land zu schauen. „Wenn es darum geht, Grundlagenforschung in industriellen Erfolg umzumünzen, können nur wenige Länder Deutschland das Wasser reichen.“ So zu lesen im britischen Wissenschaftsjournal New Scientist vor einem Dreivierteljahr auf dem Höhepunkt der Agenda-2010-Debatte. Es folgte ein Loblied auf die Fraunhofer-Gesellschaft, jene deutsche Wissenschaftsorganisation, die in 58 Instituten Forschung und Industrie vernetzt.

In Deutschland reden Politiker und Lobbyisten lieber über die US-Universitäten Stanford oder Harvard, jammern über das Abwandern deutscher Forscher – und rufen das Jahr der Innovation aus. Nach den Klausuren der Koalitionsparteien vor einer Woche folgt nun heute der erste konkrete Schritt: Gerhard Schröder empfängt zu „Innovationsgesprächen“ im Kanzleramt. Bei dem Abendessen soll es um einen lockeren Austausch über die Frage gehen, auf welchen wirtschaftlichen Feldern Deutschland „innovative Stärke erhalten und neue entfalten kann“. Der Kanzler denkt da vor allem an High-Tech.

Eingeladen ist auch Hans-Jörg Bullinger, Präsident der so hoch gelobten Fraunhofer-Gesellschaft. Er fordert seit langem eine „Innovationsoffensive“, wenn auch weniger larmoyant als mancher Politiker – und ist damit wohl einer der vielen Väter dieses Dinners. „Wir müssen besser werden, aber noch haben wir eine gute Ausgangsposition“, urteilt er. Deutschland sei nicht schlechter geworden. Doch die anderen Länder hätten aufgeholt und produzierten dieselben Produkte – „nur billiger“. Wenn Deutschland seinen „besonderen Lebensstandard“ halten wolle, müsse es eben auch „besonders innovative“ Produkte herstellen. Bullinger ist nun „gespannt“ auf die Vorschläge des Kanzlers. Er selbst plädiert dafür, so genannte Cluster, also Standorte, an denen sich schon jetzt aussichtsreiche Institute bündeln, gezielt zu fördern. Etwa die Biotechnik um Heidelberg oder die Halbleitertechnik um Dresden herum.

Forscher wie Bullinger sind bei dem Essen allerdings in der Minderheit: Eingeladen sind vor allem Industrielle – nämlich gleich sechs sowie der Bertelsmann-Chef Gunter Thielen. Dazu gesellen sich drei Forscher, ein Gewerkschafter, ein Unternehmensberater und vier Kabinettsmitglieder.

Wenn der Kanzler sich unter anderem mit den Chefs von Lufthansa (Wolfgang Mayrhuber), Siemens (Heinrich von Pierer), Telekom (Kai-Uwe Ricke) und dem Exchef von BMW, Joachim Milberg, trifft, dann schrillen bei vielen SPD-Abgeordneten die Alarmglocken. Bei den Grünen sowieso. Einige SPD-Vorstandsmitglieder empfanden bereits die Debatte mit Milberg und dem Deutschland-Chef von McKinsey, Jürgen Kluge, auf der Klausur in Weimar als „wirklich beängstigend“. Die Unternehmer hätten schon dort nicht verstanden, was die SPD wolle, sagen sie hinter vorgehaltener Hand. „Die haben in Weimar so getan, als gehe es nur um eine neue Industriepolitik.“ In ihrem Innovationspapier spricht die SPD sowohl von „technologischen“ als auch von „gesellschaftlichen Innovationen“. Klar ist aber, dass es im Kanzleramt nur um technischen Fortschritt gehen wird. Doch selbst diesen traut mancher Sozialdemokrat den Wirtschaftskapitänen nicht zu – ohne es offen zu sagen.

Da sind die Grünen schon deutlicher. Ausgerechnet die „Innovationsnieten“ aus der Großindustrie würden da eingeladen, lästert der grüne Fraktionsvize Reinhard Loske. Tatsächlich werfen Pleiten wie bei Transrapid, der Maut oder den UMTS-Fehlinvestitionen kein besonders gutes Licht auf die Traditionskonzerne. „Da treffen sich große Politik und große Industrie und machen große Absprachen“, spottet Loske. „Das führt sowieso zu nichts.“ Die Grünen fürchten, einige Wirtschaftspolitiker könnten die Innovationsdebatte nutzen, um die Umweltpolitik an den Rand zu drängen. Sie wollen „Ökologie und Innovationsdebatte zusammenspannen“. Das dürfte nicht schwer fallen. Spätestens seit der Wiedervereinigung sei Umweltschutz kein Selbstläufer mehr, betonen die Umweltpolitiker – und erinnern an Projekte wie erneuerbare Energien, effiziente Kühlschränke oder spritsparende Autos. Nur ist der Ansatz eher dezentral und nützt dem Mittelstand. Dort sieht Loske auch das innovative Potenzial. Trotzdem wollen die Grünen bei dem Thema nicht außen vor bleiben: Noch am Montag ließ sich Außenminister Joschka Fischer vom Kanzler zu dem Innovationsgespräch dazuladen.

Auch der SPD-Umweltpolitiker Ernst Ulrich von Weizsäcker (SPD) hält die „ökologische Nachhaltigkeit“ für eine „der schärfsten Innovationswaffen“. Doch obwohl beim Dinner im Kanzleramt ökologische Kompetenz fehlt, will er nicht nörgeln. „Das macht einen gewissen Sinn als Signal an die Wirtschaft.“ Konkret herauskommen werde aber vermutlich nicht viel. Die Forschungspolitiker in der SPD dagegen sehen ihre große Stunde gekommen. „Ein Großteil der Forschungsgelder soll aus der Wirtschaft kommen, da ist es wichtig, die Debatte in die Unternehmen hinein zu führen“, sagt der parlamentarische Staatssekretär im Forschungsministerium, Christoph Matschie.

Dazu ist der Termin im Kanzleramt allemal gut.