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Archiv-Artikel

Krach am scheensten Platz

Der Mieterladen und die Sanierungsgesellschaft Gesoplan feiern die Entlassung des Chamissoplatzes aus dem Sanierungsprogramm – aber wegen Meinungsverschiedenheiten nicht mehr zusammen

VON ADRIENNE WOLTERSDORF

Wann immer sich durch die breiten, aber vollgeparkten Kopfsteinpflasterstraßen des Chamisso-Kiezes nahe dem Tempelhofer Flughafen Reisebusse zwängen, wissen die Anwohner, dass die Reiseführung gerade „ … hier sehen Sie eines der Vorzeige-Sanierungsgebiete Berlins …“ ins Mikro sagen. Seit September vergangenen Jahres ist das Gebiet um den Ende des 19. Jahrhunderts bebauten Platz aus der Sanierung entlassen worden. Wo in den 50er- und 60er-Jahren die kaum kriegsbeschädigten Straßenzüge verwahrlosten, sind heute, nach 25 Jahren behutsamer Sanierung, wieder makellose Gründerzeit-Fassaden zu sehen. So zeitlos, dass kaum eine Woche vergeht, in der nicht ein Filmteam hier die eine oder andere „historische“ Szene abdreht. So zog es neben Regisseur Werner Herzog auch die Macher des Berlin-Epos „Aimée und Jaguar“ und zahlreiche Krimi-Produzenten in den Chamisso-Kiez.

„Der Schein des Schönen trügt“, mahnt hingegen der Mieterrat Chamissoplatz. Obwohl einst Straßenschlachten in den 70er-Jahren zwischen Polizei und Hausbewahrern verhinderten, dass das Gebiet großflächig abgerissen oder totsaniert wurde, scheinen diese Bemühungen wieder ins Grau der Berliner Geschichte zu versinken. Schließlich sorgte dieser ab den 80er-Jahren organisierte Widerstand für den Erhalt der Haussubstanz, für die Abkehr von der sinnlosen Entkernung, sprich: Abriss von Seitenflügeln und Hinterhofgebäuden, sowie schlichtweg für räsonable Mieten. Dies hatte bis vor einigen Jahren auch eine gute soziale Durchmischung der Bewohnerschaft zur Folge.

Längst aber rollt die „zweite Sanierungswelle“ über den nach dem romantischen Dichter Adalbert von Chamisso benannten Platz. Zahlreiche Häuser sind, aufgrund mangelnder Finanzen der senatseigenen Gewobag, entmietet worden. In Hochglanzbroschüren unter dem Motto „Wohnen in Zilles Milljöh“ (Zille lebte übrigens in Charlottenburg) werden die Wohnungen an private Käufer und Kapitalanleger verkauft. Meist zu deutlich erhöhten Preisen.

„Die langjährigen Mieter, die Jahrzehnte andauernde Bautätigkeit erduldeten, um zu tragbaren Mieten im Kiez bleiben zu können, werden jetzt massiv durch Luxussanierung und Umwandlung verdrängt“, heißt es beim besorgten Mieterrat. Damit sehen die Aktivisten der ersten Mieter-Stunden die aus der „bunten Mischung“ der Wohnbevölkerung „geschöpften Integrationsenergien“ als hochgradig bedroht.

Um ihre Sicht der Entwicklung des Kiezes darzulegen, stellten die Mietervertreter zwei eigene Ausstellungen auf die Beine (siehe Kasten), die der „offiziellen“ Gesoplan-Bilanz der 25 Jahre Sanierungstätigkeit einen weniger positiven Beigeschmack geben sollen. Für die sozialverträgliche Zukunft des Kiezes fordert der Mieterrat eine weitere Festlegung des Kündigungsschutzes auf mindestens zehn Jahre nach Umwandlung und Verkauf der Wohnung sowie eine Milieuschutzsatzung für den Chamisso-Kiez.