: In höheren Sphären
Von der Volksbühne an den Bodensee: Tim Staffel ließ sein neuestes Stück „Von Cowboys und Elfen“ in Konstanz uraufführen. Regisseurin Alexandra Holtsch alias DJ O-Spin gerät es zu salbungsvoll
von DOROTHEA MARCUS
Tim Staffel hat ja bekanntlich schon Stücke geschrieben, lange bevor er in Gießen Angewandte Theaterwissenschaften studierte. Sein neuestes, „Von Cowboys und Elfen“, ist etwa das fünfzehnte, zuletzt wurde an der Volksbühne „Hausarrest“ gegeben. Doch einen Theaterautor kann man Staffel trotzdem kaum nennen – seine Texte sind eher düstere Innerlichkeitsstudien als dramatische Handlungen.
Ausgerechnet am Bodensee, in einem der kleinsten Stadttheater der Republik, hatte nun das neueste Stück des Autors Uraufführung, der doch eigentlich durch seine Großstadtvisionen bekannt wurde. Regie führte seine langjährige musikalische Wegbegleiterin Alexandra Holtsch alias DJ O-Spin, die für Konstanz regelmäßig als Theatermusikerin arbeitet und für die er das Stück auch geschrieben hat.
Auch „Von Cowboys und Elfen“ ist schwer nachzuerzählen. Vordergründig ist es die Begegnung von Elli und Elisabeth. Elli, im Businesskostüm, sitzt in ihrer Wohnung, vor einer Wand aus wattiertem Maschendrahtzaun (Bühne: Gregor Wickert). Ein Gewehr lehnt neben ihr, auf die Wand projizierte Piktogrammpfeile wandern drohend auf sie zu. „Du schaffst es“, flüstern Stimmen ihr zu – denn Elli möchte sich umbringen. Um ungestört zu sein, klebt sie die Tür mit Klebestreifen ab, doch Elisabeth kommt trotzdem herein, mit Parka und Stiefeletten, mit Tüten und Fernseher.
Die eine zieht ein, während die andere vom finalen Weggang fantasiert. Aber im Grunde sind sie ohnehin eins, die angeblich 50-jährige Elli verschmilzt mit ihrem angeblich 25-jährigen Alter Ego. Sie erzählen sich von den Toten in ihren Leben, allesamt durch Suizid aus der Welt geschieden: Ellis Mann Hermann hat sich erschossen. Mandy war zwölf, als sie aus dem Fenster sprang. Hülya, Ellis Geliebte, hat sich verbrannt. Elisabeths Geliebter, ein leukämiekranker Soldat, hat sich mit Domestos und Whisky verätzt, ein mexikanischer Taxifahrer ist an Crack gestorben.
Silke Buchholz und Karina Schieck sprechen Staffels Todesartenschau gelassen, fast fröhlich – während an der Wand schemenhaft Tote und Strichmännchen geistern und die Technotracks anschwellen. Gemeinsam richten sich die beiden ein und beginnen, den Raum mit Paketband abzukleben, rollen wie Guerillakämpferinnen auf dem Boden, sichern die Öffnungen in der Wand. Die Wohnung wird zum Schützengraben gegen die feindliche Außenwelt, gegen die „Cowboys“, die bei Staffel Sinnbild für Ordnung und Verdrängung sind.
Eine Welt, die den Tod ausblendet und das Nichts tabuisiert – denn vielleicht sind ja in Wirklichkeit alle noch da, Hermann, Mandy, Susan und wie sie alle heißen, oder vielleicht könnte man ihnen durch den eigenen Tod näher kommen. Alexandra Holtsch inszeniert ihre erste Regiearbeit als sphärische Techno-Oper (Musik: Vicki Schmatolla und sie selbst). Sie rhythmisiert den Text und versieht ihn mit verspielten Video-Accessoires: Elli und Elisabeth haben Blumen als Mikrofone, die Piktogramme an der Wand zucken rhythmisch mit den Gliedmaßen, Rosen wuchern um Ellis Stuhl. Eine multimediale Performance, die Staffels Alltagssprache in mystische Sphären erhebt und zusätzlich verrätselt. Besonders als die Elfen ins Spiel kommen, oder der Totenkult in Mexiko, von denen sich Elli und Elisabeth bald vorschwärmen: dort, wo man Toten Festmahle bereitet oder Straßenverläufe nach Elfenwegen ausrichtet, wäre vielleicht vollkommeneres Leben möglich.
Staffel hat sich in den Grenzbereichen von Leben und Tod versucht und stellt Utopien in den Raum von einer Welt, in der die Toten ins Leben integriert sind und Selbstmord nicht tabusiert ist. Und Holtsch macht daraus eine musikalische Innerlichkeitsstudie, eine Art mystischen Werther für Techno-Kids, kaum ein Sprachstück. Staffel hat mit ihr gemeinsam auf Reisen nach Island und Mexiko an dem Todesthema gearbeitet. Und deshalb variiert sie Staffels Grundthema auf ihre Art, aber wohl sehr in seinem Sinn: draußen versinkt die Welt in Gewalt, während das Innere immer mehr zum Fluchtpunkt wird. Es ist wohl gerade der Gegensatz zwischen Brutalität und fast metaphysischer Sehnsucht nach den letzten Dingen, der den Reiz von Staffels Texten ausmacht, den man deshalb ja auch immer wieder gerne einen „romantischen Raver“ nennt, mit Musik werden seine Texte ohnehin meist gelesen. Trotzdem hat Holtsch nicht bedacht, dass dargestellte Seelenzustände auf dem Theater leicht ins Salbungsvolle kippen. Etwas mehr Lakonie, etwas mehr Bodenhaftung hätte dem hermetischen Spektakel gut getan, aber schön anzuhören war es trotzdem.