Ein Bild von einem Mann

So unzerstörbar wie sein Anzug in „North by Northwest“ war auch Grants Ruf als Hollywoods charmantester Gauner. Morgen würde er hundert

von DIRK SCHAEFER

Seinen sechzigsten Geburtstag beging Cary Grant an der Spitze der Kinocharts. In der Agentenkomödie „Charade“ (1963, Regie: Stanley Donen), seinem gerade angelaufenen siebzigsten Film, spielte er an der Seite Audrey Hepburns die Hauptrolle und stellte einmal mehr unter Beweis, dass er auf seine alten Tage zu Hollywoods größtem Kassenmagneten geworden war. Grant hatte im Laufe seiner ungewöhnlich langen Karriere den Status eines amerikanischen Monuments erreicht, und mehr Menschen denn je zahlten Eintritt, um sein Gesicht zu bestaunen, das in Filmen wie „Hausboot“ (1958) oder „North by Northwest“ („Der unsichtbare Dritte“, 1959) dank gewagter Überblendungen mit dem Capitol oder den steinernen Präsidentengesichtern vom Mount Rushmore verglichen wurde.

Auf der Leinwand verdeckte er allerdings immer mehr die Sicht auf die Figuren, die er spielte; sein Darstellungsstil war – nach dem Durchbruch in den Screwballkomödien der Dreißigerjahre immer minimalistischer geworden, und es hieß über ihn, er spiele immer nur sich selbst. Einen Oscar hat er dann auch nicht für eine Filmrolle gewonnen, sondern für sein Lebenswerk – „for being Cary Grant“.

Diese Kunstfigur war tatsächlich sein eigenes Werk. Geboren am 18. Januar 1904 in den so genannten „einfachen Verhältnissen“ in Bristol, England, hatte er sich, wie er später schrieb, seinen Namen nicht aussuchen können: Archibald Alexander Leach. Archies Kindheit war unglücklich und kurz; nachdem seine Mutter ins Irrenhaus verschwunden und er mit vierzehn von der Schule geflogen war, verließ er seinen Vater und schloss sich einer herumreisenden Akrobatentruppe an, mit der er 1920 nach New York gelangte.

Er hatte gelernt zu fallen und zu gefallen und durchlief eine stetige, wenn auch nicht spektakuläre Bühnenkarriere. 1932 war schließlich der Moment gekommen, den Vertrag beim Hollywoodstudio Paramount mit einem Namen zu unterzeichnen, über den er mitentscheiden konnte. Grant war der Name eines US-Präsidenten gewesen, Cary klang ein bisschen nach Gary Cooper; der war der führende Star bei Paramount, und es heißt, die Studioleitung habe Leach auch deswegen angeheuert, um Cooper durch die Konkurrenz unter Druck zu setzen. Wer dieser neue Star am Firmenfirmament, Cary Grant, nun aber sein sollte, welche Rollen zu ihm passten und welche nicht, interessierte bei Paramount offensichtlich niemanden.

Grant drehte in seinem ersten Jahr gleich ein halbes Dutzend Filme, wobei er zumeist wenig mehr als ein gut bezahlter Kleiderständer war; selbst in Sternbergs „Die blonde Venus“ (1932) fiel er neben Marlene Dietrich nicht weiter auf.

Auch nach zwanzig Filmen war er immer noch ein unbeschriebenes Blatt: im Privatleben witzig und lebhaft, schien er sich auf der Leinwand in ein Bild von einem Mann zu verwandeln, das hauptsächlich dekorativen Zwecken diente. Damit passte er immerhin gut in zwei Mae-West-Filme, denn die war berühmt für ihren Blick auf den Mann als Objekt. Charakteristisch dafür die Anekdote, wie sie Grant 1933 auf dem Studiogelände entdeckte: Er stand herum, er gefiel ihr, und da sie für ihren nächsten Film noch einen attraktiven Mann als Stichwortgeber brauchte, tat sie den klassischen Ausspruch: „Wenn er sprechen kann, nehme ich ihn.“

Wer aber sprechen kann, der kann auch lügen. Mit beidem begann Grant so richtig erst 1936 in „Sylvia Scarlett“, wo er unter der Regie von George Cukor einen charmanten Gauner spielte. Es war, wie seine Partnerin in diesem und drei weiteren Filmen, Katharine Hepburn, urteilte, seine erste anständige Rolle – zugleich aber, so wäre zu ergänzen, auch die erste unanständige: Seiner Attraktivität wurde nun der nötige Tropfen Gift injiziert. Die Kunstfigur Cary Grant, die der Schauspieler von da an ohne feste Bindung an ein Studio zügig weiterentwickelte, bewährte sich zunächst vor allem in Screwballkomödien, jener uramerikanischen Erfindung, die den Wortwitz des Broadway der Zwanzigerjahre mit dem Slapstick des frühen Hollywood kombinierte.

Grant hatte hier mehr als genug Gelegenheit zu sprechen – mit einem selbst erfundenen Akzent, der weder britisch klang noch eigentlich amerikanisch. Er konnte sich mit derselben tänzerischen Eleganz, mit der er seine Sätze sprach, durch modische Dekors bewegen und im nächsten Moment unvermittelt auf die Nase fallen. William Powell mochte eleganter sein, Gary Cooper schöner, in der Mitte eines unfassbar geistreichen Wortgefechts aber einen Flickflack hinlegen (ohne Schnitt!), das konnte nur Cary Grant. Er blieb eine Art Anzug-tragendes Monument männlicher Schönheit, aber er selbst stürzte diese Statue immer wieder vom Sockel, zog ihr Frauenkleider an oder setzte ihr die Brille eines zerstreuten Professors auf. So sicherte er sich, einzigartig in Hollywood, den Status eines romantischen Liebhabers, ohne den des Clowns je ganz aufzugeben.

Als sein eigener Agent war Grant weitsichtig genug, sich nicht ausschließlich auf Komödienrollen zu beschränken, würzte seine gelegentlichen Auftritte in Abenteuerfilmen und Melodramen jedoch mit einer Selbstironie, die seine Helden- und Liebhaberrollen auch für Intellektuelle genießbar machten. Er pflegte den Kontakt zu guten Drehbuchautoren, unterwarf seinen Körper einem eisernen Training und änderte niemals etwas an seiner Frisur. So machte er sich selbst zu einer Marke, einem household name, dessen beträchtliche Erträge er selbst verwaltete: ein Selfmade-Man, wenn es je einen gab.

Grants Star-Nimbus wurde in den Vierzigern und Fünfzigern immer häufiger Teil der Filmerzählungen. Die Glamourfotografie verleiht ihm mitunter etwas Unirdisches, und die weiblichen Figuren haben nun regelrechte Grant-Erscheinungen, fantasieren ihn etwa als Ritter in schimmernder Rüstung. Wenn er in „The Bishop’s Wife“ („Jede Frau hat ihren Engel“, 1947) einen Engel spielt, verlässt er sich auf ein paar Spezialeffekte und läuft ansonsten einfach als Cary Grant im dunklen Anzug herum: passt. Als Vermittler zwischen dem Star als Person des öffentlichen Lebens und als Bild auf der Leinwand rückte nun immer mehr der Anzug in den Vordergrund – ein Objekt, das den Abgrund zwischen Film und Wirklichkeit mühelos überwand.

Tatsächlich trug Grant seit den Fünfzigerjahren im Film zumeist seine eigenen, maßgeschneiderten Anzüge, Seidenhemden und -krawatten und galt als einer der bestangezogenen Männer der Welt. In „An Affair to Remember“ („Die Liebe meines Lebens“, 1957, Regie: Leo McCarey) verbindet er, als er sich beim Besuch einer Kapelle bekreuzigt, diese Geste bezeichnenderweise mit einem Griff an den Krawattenknoten. Der Anzug ist manchmal Religion, stets aber mehr als eine bloße Uniform jener „Männer im grauen Flanell“, die Grant in seinen Filmen auf eine Weise verkörperte, die die Unterschiede zwischen Journalisten, Werbern, Gaunern und Spionen verschwimmen ließ.

Bezeichnend die Verwechslung in Hitchcocks „North by Northwest“ (1959): In seinem blaugrauen Businessanzug sieht Grant nicht nur für die feindlichen Spione wie ein Agent aus; in seiner Werbeagentur ist er es gewöhnt, mit denselben zynischen Tricks und Täuschungsmanövern zu arbeiten wie die Geheimdienste, und so beweist er am Ende, indem er die Spione mit ihren eigenen Waffen schlägt, dass sie in einem gewissen Sinne Recht hatten. Im Laufe seiner Abenteuer zeigt Grants Anzug eine fast schon comicartige Unzerstörbarkeit, die wenig später ein wichtiges Motiv der James-Bond-Filme wurde (Grant lehnte die Rolle übrigens ab) und in „Charade“ einen hübschen Runninggag abgibt. Das Geheimnis des Zauberanzugs: „Imprägniert!“

Aus Anlass der Premiere von „Charade“ verfasste Tom Wolfe 1963 ein Porträt, in dem er Grant als Hollywoods letzten „bürgerlichen Liebhaber“ feierte. Über eine Begegnung mit dem Star heißt es: „Cary Grant gibt einen wundervollen Cary Grant.“ „Loverboy of the Bourgeoisie“ war vielleicht der erste Text, in dem dies als künstlerische Leistung gewürdigt wird, so als habe Grant das alte Ideal des Dandy erfüllt, aus sich selbst ein Kunstwerk zu machen.

Der Schauspieler selbst offenbarte in seinen gelegentlichen Kommentaren zum eigenen Werdegang allerdings eine Distanz, die Wolfes Hommage abgeht. „Jeder möchte Cary Grant sein. Ich wäre auch gerne Cary Grant“, sprach Cary Grant und gab einem kurzen Abriss seiner Memoiren, der etwa zur gleichen Zeit erschien wie „Charade“, den Titel „Archie Leach“. Darin heißt es: „Ich habe den größten Teil meines Lebens damit verbracht, zwischen Archie Leach und Cary Grant zu schwanken.“

Hier wurde Archie, beginnend mit der unglücklichen Jugend, zur Verkörperung all dessen, was im Leben des Stars falsch gelaufen war: Archie war verkrampft und nur mit sich selbst beschäftigt; das Kind wollte nicht erwachsen, nicht zum Mann werden, insbesondere nicht zum Ehemann; seine Verantwortungslosigkeit hatte zu drei kinderlosen, gescheiterten Ehen geführt. (Als Hilfe zum Erwachsenwerden empfiehlt Grant übrigens, dies nur am Rande, eine bizarre Hollywood-Diät aus Margarine und LSD.)

Jenes unverantwortliche Kind, das hier „Archie Leach“ genannt und dem Mann Cary Grant gegenübergestellt wird, ist jedoch in Wahrheit ein integraler Bestandteil der Kunstfigur Cary Grant selbst – und vielleicht der interessanteste, folgt man Filmwissenschaftlern wie Richard Dyer und sucht im Image eines gegebenen Stars den Widerspruch, um den herum es errichtet ist. Oder sagen wir: die Kerbe. Gerade „Charade“ spielt, bei aller Leichtigkeit des Tons, auch auf gewisse dunkle Seiten der Lichtgestalt Cary Grant an. Grants Rollen durchzieht ein systematischer, tiefer Zweifel (der durch schwule Klatschgeschichten aus dem Leben des Schauspielers unterfüttert wurde): zu auffällig seine Neigung, die Liebe von Frauen mit nichts anderem amüsierter Verwunderung zu erwidern. Bestenfalls – denn die Filme, in denen er Frauen schlägt, ergäben ein eigenes kleines Festival, diejenigen, in denen er ihre Kleider trägt, dagegen ein großes.

Gewisse beunruhigende Dimensionen deuten sich schon in jenen Komödien an, die um das Motiv der Wiederverheiratung kreisen, insbesondere „His Girl Friday“ („Sein Mädchen für besondere Fälle“, 1940, Regie: Howard Hawks). Als Zeitungsherausgeber, der versucht, seine Exehefrau und beste Reporterin (Rosalind Russell) zurückzugewinnen, ist Grant hier über das in Screwballkomödien übliche Maß hinaus zynisch, verantwortungslos und selbstverliebt. In seinem Verhalten gegenüber der Frau, die sich von dem faszinierenden Filou nicht zu lösen vermag, liegt eine unverkennbare Grausamkeit.

Allerdings scheint Alfred Hitchcock der einzige Regisseur gewesen zu sein, den gerade dieser fiese Zug interessierte. Hitchcocks Zusammenarbeit mit seinem Lieblingsstar begann 1941 mit dem romantischen Thriller „Suspicion“. Der Verdacht, von dem der Titel spricht, ruht auf Grant, und mit Lina, der von Joan Fontaine gespielten Heldin, ist man als Zuschauer schließlich davon überzeugt, dass sie mit ihrer Befürchtung Recht hat und er nun, nachdem er sie des Geldes wegen geheiratet hat, ihre Ermordung plant. Frappierend ist dabei, dass Grant diese Rolle nicht wesentlich anders angeht als seine Komödienerfolge – als hätte Hitchcocks Regieanweisung gelautet: Spiel einfach Cary Grant.

Diese vertraute Figur gerät in „Suspicion“ ins Zwielicht. Fast unwirklich schimmert Grants Haar, das ebenso schwarz ist wie der eng anliegende Anzug, in dem er sich, die Hände in die Jackentaschen gerammt, vor seiner Frau aufbaut – schön und bedrohlich. Bedrohlich, weil schön. Der Mann ist hier Objekt des Blicks der Frau, Joan Fontaine aber keine Mae West, und gerade den Objekten wächst bei Hitchcock oft eine unheimliche Macht zu. Linas Angst, vergiftet zu werden, mag die Angst vor dem eigenen Begehren sein, das der Film zu Beginn als etwas Heimliches und Verbotenes zeigt (Fontaine betrachtet Illustrierte mit Fotos von Grant beziehungsweise Johnnie, dem notorischen Playboy und Herzensbrecher). Kann die Begegnung mit einer solchen Gestalt, in deren Bild man womöglich schon lange verliebt ist, gut gehen? Kann man dem Happyend glauben, und ist das Ende von Suspicion wirklich das Ende des Verdachts? Sicherlich nicht für Hitchcock.

Auch in „Notorious“ („Berüchtigt“, 1946) ist in der Liebe Gift im Spiel, weiß die Heldin (Ingrid Bergman) bis zuletzt nicht, ob der CIA-Agent (Grant), den sie liebt, sie nur ausnutzt. Auf ihre Bitte um ein Zeichen seiner Liebe vertröstet er sie: Taten sagten mehr als Worte. Doch als Nächstes verlangt er von ihr, im Rahmen einer Geheimdienstintrige einen anderen zu heiraten. In der Welt der Spione können nicht nur Worte lügen, auch Taten sind trügerisch; wie im Kino wird auch hier mit Zeichen gehandelt, diese aber sind nun einmal mehrdeutig und bleiben es, bis zuletzt, manchmal auch über das Ende der Vorstellung hinaus.

Hier knüpft „Charade“ an, Grants letzter großer Film und zugleich eine Art Anthologie typischer Hitchcock- und Grant-Motive. Wie in „North by Northwest“ geht es um ein Verwirrspiel der Identitäten, verbunden mit einer Liebesgeschichte, in der Grant – nun doch schon stark ergraut – das eher passive Objekt der erotischen Nachstellungen der jungen Audrey Hepburn spielt. Unvermittelt berührt sie in einer Szene die berühmte Kerbe in seinem Kinn; es ist, als wolle sie prüfen, ob er echt ist und nicht nur ein Bild aus einer Illustrierten.

Bis zum Schluss weiß sie jedoch nicht, ob er sie retten oder ermorden will, da er ihr ständig neue Lügen über seine Identität auftischt. Eine gewisse Formelhaftigkeit dieser Situation thematisiert der Film raffinierterweise selbst. Woran man erkennen könne, ob jemand lügt, fragt Hepburn. Das kann man nicht, erwidert Grant und erzählt die Geschichte von den zwei Indianerstämmen: Die Weißfüße sagen stets die Wahrheit, die Schwarzfüße lügen, wenn sie den Mund aufmachen. Fragt man einen, zu welchem Stamm er gehört, so lautet die Antwort also in jedem Fall: ein ehrlicher Weißfuß. Und was bist du?, fragt sie.

In seinen besten Rollen war Cary Grant, der 1986, zwanzig Jahre nach seinem letzten Film, gestorben ist, so etwas wie ein lügenhafter Weißfuß.

Dirk Schaefer, Jahrgang 1961, lebt als Filmkomponist und Autor in Berlin. 1999 erhielt er den Experimentalfilmpreis der deutschen Filmkritik. 2001 erschien von ihm „Im Namen Nietzsches: Elisabeth Förster-Nietzsche und Lou Andreas-Salomé“, Fischer Verlag, 288 Seiten, 12,90 Euro