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: Die Schulden des Nordens

Gut, dass die Globalisierungskritiker mit ihrem Weltsozialforum aus dem beschaulichen Porto Alegre im vergleichsweise wohlhabenden Südbrasilien in die indische Metropole Bombay umgezogen sind. Dort kann man besser sehen, wie Armut aussieht. Auch in Deutschland lässt sich in Großstädten wie Hamburg oder Berlin mehr über soziale Spannungen lernen als in Starnberg oder Göttingen.

Millionen Menschen in Indien leben ein ausgesprochen miserables Leben. Sie haben buchstäblich nichts, außer Hunger und Lepra. Und sie sehen kein Licht am Ende des Tunnels. Es gibt keine Konzepte, ihrer Armut beizukommen.

Es mag sein, dass die Globalisierung die materiellen Unterschiede zwischen den Reichen im Norden und den Armen im Süden im weltweiten Durchschnitt etwas verringert hat. Obwohl die globalisierungskritische Organisation Attac betont, dass dieser Fortschritt nahezu ausschließlich dem hohen Wachstum in China und Indien zuzuschreiben sei. In weiten Teilen Afrikas und der ehemaligen Sowjetunion ist der Lebensstandard heute niedriger als noch vor zehn Jahren.

Doch nicht die Frage ist entscheidend, ob Neoliberalismus, Privatisierung und Eigeninitiative die Welt wirklich besser machen können. Entscheidend ist, dass dieses Politikkonzept keine hinreichenden Lösungen für die drängenden derzeitigen Probleme bietet. In Städten wie Bombay wachsen die Slums schneller, als die Wasserleitungen zwischen den Hütten verlegt werden. Der Neoliberalismus ist schlicht zu langsam.

Was würden wohl die Berater des IWF einer Nationalregierung antworten, die darauf verweist, dass ihre Staatsindustrie noch 50 Jahre für die Modernisierung braucht? Lasst sie sterben, würde es heißen. Lasst den Neoliberalismus sterben, könnte man ergänzen.

Am Eingang des Weltsozialforums in Bombay hängt ein Transparent mit der simplen, aber richtigen Feststellung: „Der Norden schuldet dem Süden etwas.“ Nicht Mobiltelefone, Autos und Designerhemden, wie sie auf riesigen Plakatwänden neben Bombays Slums zu sehen sind. Sondern viel Geld. Dieses aufzubringen sollte man nicht der Eigeninitiative der Wirtschaft überlassen. Die Milliarden zu beschaffen, die notwenig wären, um Millionen Slumbewohnern feste Häuser zu bauen, liegen zum guten Teil in der Verantwortung der Regierungen der reichen Staaten – auch der deutschen. Die grüne Staatssekretärin im Außenministerium, Kerstin Müller, spricht darüber nicht so gern. Bei ihrem Besuch des Weltsozialforums wird sie nicht drum herumkommen. HANNES KOCH