peter ahrens über Provinz
: Tulpen für Uschi

Das 20. Jahrhundert ist endgültig vorbei: In Holland sind „Moffen“ jetzt herzlich willkommen

Es gibt Besseres als einen Fernsehapparat, um sich an die eigene Kindheit zu erinnern. Ein riesiges Poster von Uschi Obermaier zum Beispiel. Frau Obermaier räkelt sich in der für sie einst berühmten Pose, also ohne allzuviel bourgeoise Ober- und Unterbekleidung, über dem Bett meines Gästezimmers. Zwei Tage habe ich jetzt grippekrank mit durchaus erhitzter Temperatur in diesem Bett gelegen. Und zwei Tage hat mich Frau Obermaier ohne Unterlass angeschaut, den Mund dabei stets leicht geöffnet. Wo man vom Fieber doch ohnehin schon so ganz komische Gedanken im Kopf hat. Das Bett steht in der Nähe Rotterdams, der alten niederländischen Residenz Delft, da wo ich meine vorläufige und unser depressiver Prinz Claus seine dauerhafte Ruhestätte gefunden hat. So schlecht kann es also um das deutsch-niederländische Verhältnis nicht bestellt sein, wenn wir beide hier in Frieden ruhen dürfen. Henk, mein Vermieter, hat mir beim Einzug das Zimmer gezeigt, auf die Rundungen von Frau Obermaier verwiesen und dazu gesagt: „Das ist auch ein Grund, warum Deutsche bei mir stets willkommen sind.“

Es ist sowieso eine gute Zeit, um sich als Deutscher – als „Moffe“ auf gut Holländisch – in den Niederlanden herumzutreiben. Erstmals seit Wilhelm von Oraniens Zeiten vor 450 Jahren kommen Holländer auf einen zu, gut gelaunt, gar schulterklopfend: „Euer Schröder, der sagt das Richtige. Ihr seid gegen den Krieg. Eine halbe Million Menschen demonstrierend auf der Straße: Kompliment euch Deutschen.“ Das berührt nachgerade unangenehm, in der Fremde und dann auch noch in Rotterdam so unvorbereitet gemocht zu werden. Wo ich mich doch für die sechs Wochen als Gast beim Rotterdamer Algemeen Dagblad dafür gerüstet hatte, dass meine nachbarländischen Gesprächspartner ihre Deutschkenntnisse an dem gesamten Arsenal von Blitzkrieg über Bombenangriff bis Führerbunker abzuarbeiten gewillt sein würden. Ich hatte mir vom Karnevalsramsch im jecken deutsch-niederländischen Grenzgebiet als Vorbereitung extra einen Wehrmachtshelm aus Plastik mitgebracht, um an meinem Redaktionsschreibtisch mit der entsprechenden Kulisse dienen zu können. Alternativ hätte es auch noch die Papppickelhaube für 19,90 Euro getan. Mental hatte ich es mir längst im Schützengraben gemütlich gemacht.

Und was passiert stattdessen? Stattdessen ist der Deutsche nun hier every guus darling. Beinahe ehrverletzend, dies ausgerechnet Gerhard Schröder und Joschka Fischer verdanken zu müssen. Wegen der schönen Franka Potente meinethalben, dem flinken Bernd Schneider, dem klugen Roger Willemsen oder der sympathischen Heike Makatsch – da hätte ich ja nichts gegen eine Huldigung einzuwenden, mit denen mag man gern in ein Boot gesetzt werden. Aber wegen des Kanzlers, der binnenländisch zuletzt meistverspotteten Figur seit Pur-Sänger Hartmut Engler? Demnächst werden mir noch wegen der westfälischen Landsmannschaft mit Friedrich Merz irgendwo vorm Rijksmuseum in Amsterdam die Füße geküsst, weil das Sauerland so ein tolles Skigebiet für die Niederlande abgibt. Mürrischst werden die Danksagungen zur Kenntnis genommen.

Henk hat mit den Deutschen allerdings sowieso noch nie ein Problem gehabt. In seinem Bücherregal stehen Alice Schwarzers „Het klein verschil“ und Michael Endes „Het oneindige verhaal“. Auf dem Plattenteller dreht sich pausenlos Amon Düül. Henk erzählt, dass er in einem Plattenladen arbeitet, den er mit allem Verlaub für den mindestens besten in den Niederlanden hält. Nachdem er dort jahrelang als Kunde ein und aus gegangen ist, haben sie ihn irgendwann gefragt, ob er nicht gleich in dem Laden arbeiten wolle. Seitdem versucht er viermal in der Woche mit vermutlich wechselhaftem Erfolg, Holländern den deutschen Krautrock der wilden Siebzigerjahre schmackhaft zu machen. Nick Hornby muss mal in Delft gewesen sein, bevor er sein „High Fidelity“ geschrieben hat.

Er wird sich dabei zu seiner eigenen Sicherheit allerdings inkognito gehalten haben müssen. Wer abends im Delfter Café de Engel das Champions-League-Spiel Ajax Amsterdam gegen Arsenal London auf Großbildleinwand gesehen hat, weiß ganz sicher: Das deutsch-niederländische Verhältnis ist gegenüber dem niederländisch-britischen total entspannt. Nach diesem Spiel bin ich überzeugt: Es war in Wirklichkeit Englands Bomber-Harris, der Rotterdam dereinst in Schutt und Asche gelegt hat. Und Uschi Obermaier hatte anschließend alle Hände voll zu tun, um wieder die Liebe über die Menschen zu bringen. Vermutlich muss die Geschichte des 20. Jahrhunderts völlig neu geschrieben werden.

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