Ein Spleen fürs Leben

Im Amphicar-Club treffen sich die verbliebenen Besitzer von Schwimmautos. Ihre Zwitterwesen aus der Wirtschaftswunderzeit sind extrem langsam und nur geeignet für geduldige Bastlerseelen

von HENNING KRAUDZUN

Alt-Tegel, eine verschlafene, heile Welt. Im Haus des Tauchsportclubs Nord, der gebauten Rückbesinnung auf heimattümelnde Architektur, trifft sich ein Verein, der mit seiner Idee gealtert ist. Wie bei anderen Clubs werden Grillpartys und Ausflüge besprochen. Und dann einigt man sich auf den wichtigsten Termin des Jahres: das „Anschippern“, den Tag, an dem die Autos wieder ins Wasser gelassen werden. Dann können die Mitglieder des Berliner Amphicar-Clubs, ihre winterlichen Bastlermühen endlich wieder in Spaß umsetzen.

Als noch ein paar tausend Amphibienautos in Berlin produziert wurden, gründete sich der Club. Heute ist er ein Exot in den Vereinsregistern. Die Gefährte sind ein sonderbares Produkt aus der Wirtschaftswunderzeit – der Versuch eines standhaften Bastlers, seine Idee in Geld umzumünzen. Hans Trippel, so hieß der Erfinder, hatte die schwimmenden Cabrios zusammen mit einem Investor in der Westberliner Deutschen Waggon- und Maschinenbau montieren lassen, für den amerikanischen Markt. Doch das Geschäft platzte. 40 PS waren für das Land der unbegrenzten Möglichkeiten eindeutig zu wenig, die Karosserie war zu klein. Letztlich wurden die wassertauglichen Fahrzeuge in Europa verscherbelt.

Doppelter Führerschein

Dieter Artus erinnert sich noch genau an jene Zeit, die es gut mit einer kuriosen Idee auf vier Rädern meinte. „Leuchtende Augen“ habe er beim Anblick des Prototyps in Lübeck gehabt. Mitte der Sechzigerjahre kaufte er vom Ehestandsdarlehn einen Vorführwagen für knapp 5.000 Mark, mehr kostete ein VW Käfer damals auch nicht. „Die Amphicars waren eigentlich kein teurer Spaß, aber sie sind aufwändig zu pflegen“, weiß Artus. Zudem waren sie technisch nie ausgereift, was sie eigentlich nur für Bastler interessant machte. „Mit dem Hobby legte man sich auf Jahrzehnte fest“, sagt Artus.

Was darüber hinaus abschreckt, sind aufwändige Behördenwege. Zwei Zulassungen brauchen die Hobbyschrauber, außerdem zwei Führerscheine – einen für die Straße und einen fürs Wasser. Auch Versicherungen verlangen für das exotische Hobby mehr Geld.

So nimmt es nicht wunder, dass immer weniger Autos über die Seen schipperten. Zur Gründungszeit des Clubs existierten weit über 100 schwimmende Fahrzeuge, heute nur noch zwei Dutzend. Auch Ersatzteile sind ein Problem. „Die bekommt man nur noch über Beziehungen“, bedauert Artus. Als die Produktion 1965 eingestellt wurde, verkaufte das Werk die Ersatzteile schnell nach Holland. Dort lohnte das Geschäft mehr.

Hierzulande gingen die Schwimmautos weniger gut, obwohl sie ideal in ihre Zeit passten. Mit ihnen konnte man den neuen Wohlstand auch auf dem Wasser präsentieren. Die Eroberung der Gewässer im Kriechgang passt auch zur Ausflugswut der Deutschen. „Es ist einfach reizvoll, wenn man gemütlich übers Wasser gleiten kann und dabei nicht untergeht“, erzählt Hans Höll, Schriftführer des Vereins. Daher reiste er auch fast jeden Urlaub nach Skandinavien, um sich die ausgedehnten Seenlandschaften zu erschließen. Weite Strecken überbrückt sein Amphibienauto mit dem Zug, denn bei einer Höchstgeschwindigkeit von 90 Kilometern pro Stunde auf der Straße werden selbst geruhsame Fahrer nervös.

Doch wer viel reist, muss auch viel basteln. Der Motor will gepflegt sein, die Karosserie braucht intensiven Korrosionsschutz. Wer unbeholfen mit dem Werkzeug hantiert und sich für Reparaturen kaum motivieren kann, gibt das Hobby schnell auf. „Zur Werkstatt kann man nicht mal eben fahren“, sagt Roland Hillmer, der als Klempner kaum Berührungsängste mit seinem Gefährt hatte. Mittlerweile ist er Rentner und hat so noch mehr Zeit für das Amphicar. 1.000 Mark zahlte er vor drei Jahrzehnten im Gebrauchtwagenmarkt, heute ist sein schwimmendes Cabrio ein Vielfaches wert. Immerhin fand diese Blechspezies Eingang ins Museum.

Manuel Nirode ist einer der nachrückenden Enthusiasten, doch als Nachwuchs möchte der 41-Jährige nicht mehr gelten. Per Zufall stieß er Ende der 80er-Jahre auf eine Zeitungsannonce, ein Hesse wollte sein Amphicar verkaufen, freilich als Bausatz. Nach dem schnellen Kauf stand der Taxiunternehmer vor dem Problem, die altersschwachen Teile zu einem Ganzen zusammenfügen zu müssen. Nach endloser Bastelei knüpfte er Kontakte zum Amphicar-Club. Dort ist Nirode bis heute nur Aufnahmekandidat, die Hürde zur Mitgliedschaft gilt es noch zu überwinden: „Das Auto muss endlich schwimmen, diesen Sommer soll es passieren“, hofft er.

Viel Nachwuchs ist dennoch nicht in Sicht. Ein Hobby stirbt langsam aus. Die verbliebenen Amphibienautobesitzer sind überall in Europa verstreut, anderswo existieren zwar auch Clubs, aber „dort sind Schwimmpanzer und anderes Zeug darunter, oftmals von Militaristen“, weiß Höll. Damit wollen die Berliner nichts zu tun haben. Deshalb hielten sie sich bislang auch vom „Amphib“, dem größten europäischen Treffen für Wasserfahrzeuge, fern. „Zu viel Trubel“, meint Höll. Stattdessen trifft man sich mit erprobten Mitschwimmern auf Donau, Rhein, Main oder auch mal auf dem Gardasee. Höll ist sogar von Berlin nach Hamburg geschippert, sechs Tage war er unterwegs.

Schwere Schildkröten

„Die Leute gaffen immer wieder und rätseln, wie Autos überhaupt schwimmen können“, sagt Hillmer. Im Grunde genommen funktioniert das knapp eine Tonne schwere Amphibienauto wie ein Boot. Die Karosserie ist höher gesetzt, beim Schwimmen verdrängt sie viel Wasser. Simple Physik. Die beiden Schrauben am Heck haben ihr eigenes Getriebe, das für den Landweg ist dann in den Leerlauf geschaltet. Zumeist geht es im Joggertempo vorwärts.

„Wir sind halt Schildkröten, über die sich jeder Motorboot- oder Autofahrer lustig macht“, sagt Höll. Aber um Show und Geschwindigkeit geht es keinem der Amphicarbesitzer. Eher darum, in das geliebte Auto zu steigen und irgendwo auf dem Wasser seine Ruhe zu haben. Und dabei nicht unterzugehen.

Infos: www.amphicar.net/Germany