: Der gute Ruf von Potsdam
Die Garnisonkirche stand für preußischen Militarismus. Stehen soll sie wieder, aber nicht mehr dafür. Wofür dann? Die schrecklich netten Potsdamer suchen die „guten Seiten“
VON HEIKE HOLDINGHAUSEN
Jann Jakobs ist der Oberbürgermeister von Potsdam, Schnauzbart, SPD und wirklich nett. Bertram Althausen ist Superintendent in Potsdam, rotblonder Schopf und auch nett. Ute Platzeck, Bürgerrechtlerin in Potsdam, gestern und heute, und sehr nett. Der Fernsehmoderator Günther Jauch, auch er Potsdamer und auch er: nett. Lauter vernünftige Leute, man trifft sie gerne, zum Beispiel am Donnerstagabend im Industrieclub der Stadt. Dort, in der noblen Villa Arnim, hatte ebenjener Verein der Brandenburgischen Industrie alles, was in Potsdam Rang, Namen und Geld hat, zusammengetrommelt, um ein großes neues Projekt vorzustellen: den „Ruf aus Potsdam“, die neue Initiative zum Wiederaufbau der Garnisonkirche.
Lieblingswort: „unideologisch“
Die Hauptstadt des schönen, alten Landes Brandenburg hat nämlich Schlösser, Gärten, russische Holzhäuschen und holländische Backsteinbauten – nur die barocke Garnisonkirche hat sie nicht mehr. 1968 wurde dieses Hauptwerk des preußischen Barock, eingeweiht 1732, im Auftrag Walter Ulbrichts gesprengt. An ihrer statt vergammelt dort heute ein hässliches Rechenzentrum. Eine mächtige, verputzte Backsteinkirche mit fast 90 Meter hohem Turm, goldener Wetterfahne und Preußenadler obendrauf wär da natürlich schöner für die Postkarte mit dem Gruß aus der Landeshauptstadt. Also: Wieder her mit dem Bau, dachten schon viele, aber noch keiner so vehement und effektiv wie Hans P. Reinheimer. Der Vorsitzende des Industrieclubs, zupackend, effektiv, Lieblingswort: „unideologisch“, hat den „Ruf aus Potsdam“ initiiert, hat evangelische Kirche, die Stadt und das Land an einen Tisch gebracht. Sie werden eine gemeinsame Stiftung gründen, unter Schirmherrschaft von Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD), Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) und Bischof Wolfgang Huber. Ihr Zweck: Wiederaufbau und Nutzung der Potsdamer Garnisonkirche. Ihr Ziel: weltweit 45 bis 50 Millionen Euro sammeln, um das Gebäude innen wie außen originalgetreu wieder aufzubauen, in sechs bis acht Jahren, Grundsteinlegung am 14. April 2005, zum 60. Jahrestag der Bombardierung Potsdams im Zweiten Weltkrieg.
Neu ist die Idee nicht, die Kirche wieder aufzubauen. Schon 1984 hatte sich im sauerländischen Iserlohn preußischer Patriotismus gerührt und den Kommandanten eines Fallschirmjägerbataillons, Max Klaar, zur Gründung eines Vereins veranlasst: Die „Traditionsgemeinschaft Potsdamer Glockenspiel“ sammelte schließlich genügend Geld, um die 40 Glocken des Glockenspiels der Garnisonkirche neu zu gießen, die beim Bombardement zerstört worden waren. Bis dahin hatten sie Potsdam zuverlässig halbstündlich die Melodien von „Üb immer Treu und Redlichkeit“ sowie „Lobe den Herren“ gebimmelt. Das taten sie von nun an in Iserlohn, bis sie 1991 als Geschenk nach Potsdam wanderten. Klaar blieb fleißig: Sein Verein sammelte weiter, für den Wiederaufbau des Turms, auf dass das Glockenspiel eine neue Heimat finde. 5,7 Millionen Euro hat er bislang zusammenbekommen. Doch jetzt will er sie nicht rausrücken.
Denn wie Seelsorger Althausen wollte die evangelische Kirche zwar ihr schmuckes Gebäude wiederhaben – nicht aber den Geist, der es ehedem durchwehte. Also erdachte sie das Konzept eines Gotteshauses, das für Passanten und Touristen als Stadtkirche stets offen steht und in dem zudem „Symbolkirchenarbeit“ geleistet und ein „Durchschreiten der Geschichte“ möglich wird. Zentrale Idee aber ist die Einrichtung der Kirche als internationales Versöhnungszentrum, ähnlich der Kathedrale im englischen Coventry, die 1940 von der deutschen Luftwaffe zerstört worden war. Das Friedens- und Versöhnungssymbol Coventrys, das Nagelkreuz, soll auch vor der wieder errichteten Garnisonkirche stehen, zur Mahnung und Erinnerung der Besucher.
Doch als Symbol für Pazifismus und Buße für deutsche Sünden hatte sich der solvente Traditionsverein die Garnisonkirche nun nicht vorgestellt. Auf die Kirchturmspitze gehöre der Preußenadler und kein Nagelkreuz. Außerdem dachten die Iserlohner sich auf harten Kirchenbänken kein Versöhnungszentrum, sondern eine Gemeinde gottesfürchtiger Schäfchen und stellten in dem folgenden, zweijährigen Streit mit der Kirche immer weitere Bedingungen. Als sie vergangenen Sommer forderten, die Kirche möge von der Trauung Homosexueller, der Beratung von Wehrdienstverweigerern und der Gewährung von Kirchenasyl in der Garnisonkirche Abstand nehmen, scheiterten die Gespräche. Fallschirmjäger Klaar wollte schließlich nicht irgendeine Kirche wieder aufbauen.
In der Garnisonkirche wurden bis Februar 1945 die Leichen zweier preußischer Herrscher, die des Soldatenkönigs und die Friedrichs des Großen, aufbewahrt. In ihr betete die Potsdamer Garnison, hier bewahrten die Preußen ihre im Krieg erbeuteten Standarten auf. Und hier schüttelten sich am 21. März 1933 Reichspräsident Paul von Hindenburg und Adolf Hitler die Hand und machten damit, am „Tag von Potsdam“, der Weimarer Republik symbolisch den Garaus. Die Garnisonkirche stand, wie kein anderes Gebäude in Potsdam, für preußischen Militarismus und für den Schulterschluss Preußens mit den Nationalsozialisten. Stehen soll sie wieder, aber nicht mehr dafür.
Preußen habe, sagt Oberbürgermeister Jakobs sanft, schließlich auch kunstsinnige und intellektuelle Seiten gehabt. Zwar lassen die sich nur schwerlich ausgerechnet mit dem strengen Prachtbau in Verbindung bringen. Aber ihm gelingt es doch: In der Architektur der Kirche etwa hätte die Kunst ihren Ausdruck gefunden. Natürlich, ihre Geschichte sei durchaus spannungsreich. Doch ihr Turm gehöre nun einmal zur Sillhouette der Stadt.
Und überhaupt: „Wenn sie die Kirche nicht wieder aufbauen, geben sie der SED Recht“, meint Günther Jauch. Er bastelt überall tatkräftig mit, wo das alte Potsdam restauriert oder rekonstruiert wird: Das Fortunaportal, den Eingang zum Stadtschloss, der inzwischen etwas verloren auf dem alten Marktplatz steht, hat die Stadt ihm zu verdanken. Schlimmer noch als Schlösser zu sprengen findet er, Kirchen zu schleifen. Wo die Kirche fehle, fehle der Mittelpunkt der Gemeinde. Und auch die Garnisonkirche sei eben, zuallererst, eine Kirche gewesen.
Und zwar eine, die „zur Geschichte der Stadt gehört“, sagt Ute Platzeck. Sie, die für das unabhängige Bürgerbündnis in der Potsdamer Stadtverordnetenversammlung sitzt und für freie Bahn für Skater streitet, freut sich sehr über die Wiederaufbauinitiative. Mit Selbstbewusstsein müsse man zur Vergangenheit stehen. Sagt sie und lächelt.
Die Brüche der Vergangenheit
Die preußische Militärkirche, im Zweiten Weltkrieg beschädigt, von der DDR zerstört. Und nun, neu: das preußische Kunstwerk, von Menschen aller Völker wieder aufgebaut, als Symbol von Frieden und Demokratie. „Wir wollen uns unsere Geschichte nicht nehmen lassen“, heißt es im „Ruf aus Potsdam“: „In Kontinuität und Bruch stellen wir uns der Vergangenheit in ihrer ganzen Zwiespältigkeit.“ An die Brüche der Vergangenheit erinnern – in schönstem preußischem Barock. Keine Leere mehr, kein Plattenbau, kein hässliches Gestern. Wozu haben wir schließlich das Holocaustdenkmal? Das neue Selbstbewusstsein der Berliner Republik schwingt deutlich mit im „Ruf aus Potsdam“ und darum klingt er auch so anders als sein großes Vorbild, der „Ruf aus Dresden“. Im Februar 1990 wurde dieser von einer örtlichen Bürgerinitiative veröffentlicht. Tausende aus aller Welt folgten dem Aufruf und spendeten für die Wiedererrichtung der Dresdner Frauenkirche bislang rund 90 Millionen Euro. Sie gaben Geld für eine Kirche, deren Trümmer schon zu Zeiten der DDR als ein Symbol für das „Nie wieder“ standen: nie wieder Krieg, nie wieder Zerstörung. Jetzt soll noch mal gespendet werden, für eine preußische Militärkirche, die keine mehr sein soll.
Wenn die Kirche aber nicht mehr die von 1933 sein soll, warum soll sie dann genau so aussehen? Weil, sagt Günther Jauch, man doch einem Gebäude nicht vorwerfen könne, was Menschen in ihm treiben. Aber darum geht es ja gar nicht, sondern darum, was wir darüber denken, was sie dort trieben, und wie wir uns daran erinnern. Wenn der Seelsorger Althausen vom Nagelkreuz von Coventry schwärmt, sieht er nicht, dass in dieser Kathedrale 1945 die Opfer des Krieges beteten, in der Garnisonkirche aber die Täter?
Potsdam wird schöner sein, wenn die Kirche wieder steht. Der sanfte Oberbürgermeister wird sich über ihren Anblick freuen und die wieder hergestellte Sillhouette. Der freundliche Seelsorger Althausen wird hinter den Backsteinmauern die Welt versöhnen. Ein friedliches Bild. Ein nettes Bild. Es ist zum Fürchten.