piwik no script img

Archiv-Artikel

Schwieriger Nachweis

Patienten haben nur geringe Chancen, Ärzten Behandlungsfehler nachzuweisen. Der Medizinische Dienst der gesetzlichen Krankenkassen (MDK) erstellt vor einer Klage ein kostenloses Gutachten

VON RICHARD ROMAN

In ein Berliner Krankenhaus eingeliefert wurde die Mutter von Anna Paulbach* zur Behandlung einer Blutanämie. Mit der zweiten Bluttransfusion fing das Drama an: Das Spenderblut passte nicht zur Empfängerin. Zusätzlich wurden möglicherweise Hygienestandards verletzt. Ein Arzt habe ihr gesagt, so Anna Paulbach, dass die aufgetretene Virusinfektion nur durch eine verkeimte Nadel bei der Bluttransfusion entstanden sein könne.

Nach weiteren Komplikationen wie Herzinfarkt und Nierenversagen starb die Mutter völlig entkräftet nach einem rund sechswöchigen Martyrium. Nach einer Phase der Trauer und des Schocks wandte die Tochter sich drei Wochen später an ihre Krankenkasse. Paulbach glaubt fest daran, dass diese ihr hilft, zu ihrem Recht zu kommen. Schließlich sei die Ursache der Virusinfektion eindeutig und ebenso, dass diese zum Tode führte. Dies habe ihr ein Arzt gesagt.

Damit hätte sie die erste wesentliche Hürde bei Verfahren wegen ärztlicher Behandlungsfehler genommen. Denn es sind die Patienten oder deren Familien, die nachweisen müssen, dass ihnen aufgrund eines Behandlungsfehlers ein gesundheitlicher Schaden entstanden ist. Dieser Beweis ist naturgegeben schwer zu erbringen. „Ein Geschädigter gewinnt nur, wenn ein gerichtlich bestellter Gutachter einen kausalen Behandlungsfehler bescheinigt“, sagt Dirk Christoph Ciper, ein Fachanwalt für Medizinrecht, dessen Kanzlei regelmäßig gegen ärztliche Kunstfehler vorgeht.

Einen Stich machen Patienten, wenn der Gutachter einen groben Behandlungsfehler festgestellt. Dann kehrt sich die Beweislast um: Der Arzt muss beweisen, dass er keinen Fehler gemacht hat, der zum beklagten Schaden geführt hat. Aber auch diese Situation ist kein Kantersieg. „Ich habe Prozesse erlebt, wo mehrere Gutachten einen schweren Fehler bescheinigten. Am Ende hat der Mandant dennoch verloren.“ In einer solchen Gemengegelage treffen mehrere unterschiedlich wertende Gutachten aufeinander. Der Richter hat dann die Qual der Wahl.

Ärztliche Gutachter würden sich zudem häufig scheuen, so Ciper, einen Kollegen „in die Pfanne zu hauen“. Auch sei es längst nicht selbstverständlich, dass ein nachbehandelnder Arzt seinen Vorgänger belaste. Deshalb seien die Erfolgsaussichten solcher Prozesse kaum zu kalkulieren. Nach seinen Angaben führen allenfalls 20 bis 30 Prozent aller gerichtlichen Prozesse zum Erfolg. Dazu zählen auch Vergleiche zwischen den streitenden Parteien.

Doch es gibt noch einen anderen Weg als den Zivilprozess, der immer das finanzielle Risiko birgt, dass die unterlegene Partei für die Kosten des Rechtsstreits aufkommen muss. Denn die Ärztekammern haben Schlichtungsstellen eingerichtet, die sich um eine außergerichtliche Beilegung von Streitigkeiten zwischen Ärzten und ihren Patienten kümmern. Damit ein solches Verfahren überhaupt zum Zuge kommt, muss der angesprochene Arzt aber seine Zustimmung geben. So freiwillig wie der Beginn, so unverbindlich ist auch das Ende: Keine Partei muss das Ergebnis akzeptieren.

Fachanwalt Ciper hält daher wenig von diesem Verfahren. Zumal die Schlichtungsstellen keinen guten Ruf haben, weil die Verfahren von der Versicherungswirtschaft getragen werden. Diese bezahlt am Ende auch die Gutachter. Es dränge sich der Verdacht auf, dass diese ihren Auftraggebern Gefälligkeitsgutachten lieferten, so Ciper. Zudem wird in diesem Verfahren nur der materielle Teil einer ärztlichen Behandlung bewertet. Eine mangelhafte Falldokumentation, die durchaus Regressansprüche vor Gericht untermauern könnte, wäre im Schlichtungsverfahren irrelevant.

Auch die Unabhängige Patientenberatung Deutschland (UPD), die von den Verbraucherzentralen an 22 Standorten unterhalten wird, unterstellt den Schlichtungsstellen Befangenheit. Julia Nill, die am UPD-Standort Karlsruhe berät, ist angesichts der relativ geringen Chancen gegen Ärzte und der in Deutschland „sehr niedrigen“ finanziellen Entschädigungen zurückhaltend in ihren Ratschlägen. Sie plädiert dafür, dass der erste Weg nicht zum Anwalt führt, sondern zum Medizinischen Dienst der gesetzlichen Krankenkassen (MDK).

Diese Gemeinschaftseinrichtung der Versicherungen steht in dem Ruf, aus einem ureigenen finanziellen Interesse geschädigte Patienten ernsthaft und engagiert zu vertreten. Das kostenlose MDK-Gutachten bilde, so Nill, eine gute Grundlage, um abzuschätzen, wie erfolgreich eine Klage vor Gericht wäre.

*Name geändert