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Archiv-Artikel

„Harpuniere einen Norweger!“

Wo Wale und Robben abgeschlachtet werden, sind die Proteste der Tierschützer drastisch. Dennoch sind die Breitengrade unterm Polarkreis kein Schlaraffenland für Vegetarier: Wo keine Kartoffeln wachsen, steht Walschinken auf der Speisekarte

ARKTISCHE KÜCHE

Spezialitäten aus der arktischen Speisekammer: Restaurant Skarven, Tromsø, Strandtorget, Tel: +47 77 60 07 20, www.skarven.no

Zu Tromsø: Destinasjon Tromsø, Postboks 311, N-9253 Tromsø, Tel.: +47 77 61 00 00, info@destinasjontromso.no, www.destinasjontromso.no/german/

Norwegen allgemein: Innovation Norway/Norwegisches Fremdenverkehrsamt, Postfach 11 33 17, 20433 Hamburg, www.visitnorway.com/de

VON BARBARA SCHAEFER

Auf dem Vorspeisenteller im Restaurant Skarven in Tromsø passt das Krabbenfleisch locker in ein Schälchen, man sieht ihm nicht an, welch riesigem Meeresbewohner es entstammt: Die Kamtschatka-Krabbe hat eine Spannweite von bis zu 1,80 Metern. Zwar ist sie kein Monster, aber doch der Schrecken der Meere. Jedenfalls der Meere, in die sie nicht hineingehört. Russen haben die Krabbe bei Murmansk ausgesetzt, vor Jahren schon, sie stammt, wie ihr Name verrät, aus dem Ozean am ganz anderen, östlichen Ende des Landes. In der Barentssee hat die Riesenkrabbe jedoch keine natürlichen Feinde, sie vermehrt sich flott. Norwegens Fischer graust vor der Vorstellung, sie könne sich bis in die Gewässer auf der Höhe der Finnmark ausbreiten. Denn sie macht nicht nur die Netze kaputt, sondern frisst ihre Umgebung ratzeputz leer.

„Wir bereiten sie auf verschiedenste Arten zu, man kann alles mit ihr machen, was man auch mit Hummer macht, nur dass sie viel mehr Fleisch hat“, sagt Gunnar Andersen, Koch im Skarven, einem der exklusivsten Restaurants des Nordens, das sich „arktischen Speisen und Spezialitäten“ verschrieben hat. Die Leckerbissen des Hauses, so verspricht die Speisekarte, werden aus „Rohstoffen unserer unglaublichen arktischen Speisekammer“ zubereitet.

Der Umgang der Norweger mit Meeresbewohnern erregt immer wieder Unmut. Während die Norweger auf die Tradition des Walfangs und der Robbenjagd vor allem an den nördlichen Küsten pochen, werfen ihnen Umweltorganisationen einen rein kommerziellen Hintergrund dessen vor, was unisono „Schlächterei“ genannt wird. Das Thema ist komplex und mit Vorurteilen beladen. Unstrittig ist jedoch, dass die Robbenbestände im Nordmeer so stark zugenommen haben, dass sie dem Fischbestand zusetzen.

Im Polarmiljøsenteret, dem Polar-Umweltzentrum in Tromsø, werden solche Dinge wissenschaftlich untersucht. Daneben steht das Polaria, ein dem Zentrum angeschlossenes Besucherzentrum, dort gibt es einen Seehund-Pool, zweimal täglich kann man bei der Bartrobben-Fütterung zusehen. Die Meeressäuger zeigen Kunststückchen.

Walschinken ist im Skarven eine Delikatesse. „Die Japaner rennen uns die Bude ein“, sagt Andersen. Zuhause „zahlen die das 25fache für Walsteak“. Manche denken, Wal und Robbe schmeckten tranig, aber das dürfe eigentlich nicht sein, so Andersen. „Wenn es riecht, ist es nicht frisch.“ Wer den Geruch einmal in der Nase hatte, vergisst ihn nie wieder. Er liegt wie eine Wolke über allen Wohnsiedlungen Grönlands.

Andersen ordert einen Teller mit Robbenröllchen und Walschinken, ich solle das probieren. Es kommt hübsch angerichtet daher, mit viel mehr Grünzeug, als es in den Küchen des Nordens sonst so üblich ist – und schmeckt noch besser, als es aussieht. Der schwäbische Starkoch Vincent Klink beschreibt es so: „Gebraten unterscheidet sich Wal kaum vom Ochsen-Pfeffersteak, bis auf einen leichten, angenehm süßlichen Hauch Meeresduft. Der Geschmack erinnert an Wildente.“ Das Grünzeug auf dem Teller schmeckt ebenfalls ungewohnt. Es ist Tang.

Für manche Gäste sei Robbensteak „doch zu speziell“. Sie probierten es, sagten: „interessant“, und bestellten etwas anderes zu essen. Doch in dem Nobelrestaurant unweit der Anlegestelle der Hurtigruten verkehren ohnehin hauptsächlich Einheimische. Hier treffen sich die Ärzte der Uniklinik mit Wissenschaftlern. Den Touristen ist es hier zu teuer.

Hai sei eine weitere Spezialität des Nordens. „Schwierig zuzubereiten“, gesteht der Koch. Haie haben keine Nieren und lagern ihren Stoffwechselabfall im Fleisch. Nur die Isländer haben eine traditionelle Methode gefunden, Haifleisch annähernd essbar zu machen: Sie lassen es verrotten. Nach Wochen und Monaten, in denen das Fleisch traditionell in Holzkisten im Sand vergraben wurde, stinkt es gottserbärmlich nach scharfem Fensterputzmittel. Der Ammoniak, der sich freigesetzt hat, kann nur mit noch Schärferem bekämpft werden, was die Isländer „Schwarzer Tod“ nennen. Haben sie Häppchen von Hákarl, wie diese Hai-Delikatesse heißt, heruntergewürgt, schütten sie mit diesem Branntwein nach. Andersen lacht, er kennt diese Geschichten aus Island. Er gehe in seiner Küche den entgegengesetzten Weg: „Bei uns kommt der Hai so frisch in die Pfanne, dass er noch nicht stinkt.“

Eine nicht ganz so absonderliche Spezialität der arktischen Küche ist der Stockfisch, in Südeuropa geliebt als Bacalao. Ursprünglich wurde er hauptsächlich exportiert, nach Portugal und Italien. Im Skarven wird er, wenn er erst mal so richtig dürr getrocknet ist, acht Tage in Wasser eingeweicht. Das Wasser muss dreimal täglich gewechselt werden. Aber in fließendes Wasser darf er auch nicht gelegt werden, das trage den Geschmack davon. Auf der Speisekarte findet sich Stockfischsuppe mit Walchorizo. Im Winter wird er zum Lieblingsgericht als gegrillter Stockfisch, da wird der eingelegte, gewässerte Fisch kross geröstet, was als Hauptspeise 30 Euro kostet. Doch dafür zahlt der Norweger gerne noch mehr als für Elch, den er ohnehin zuhause in der Tiefkühltruhe lagert. „Bei uns gibt es nur Filet“, sagt der Chef. Ein robuster Elch wiegt 500 Kilogramm, 25 Kilo Filet sind da zu erwarten.

Für Vegetarier ist die Arktis kein Schlaraffenland. Nördlich des Polarkreises nimmt, was den Gemüse- und Fruchtanbau betrifft, nur eines zu: die Bezeichnung „Verdens nordligste“ – „der Welt nördlichste …“ So wächst in Tromsø der „weltnördlichste Weizen“, aber in homöopathischen Mengen. Schon für Äpfel reicht das Klima nicht mehr aus, auch Kartoffeln haben es gern ein bisschen wärmer. Gelbe Rüben und Kohlrabi gedeihen immerhin. Und, fürs Auge, die tapfersten Blumen des Erdballs, Geranien. Vom weit entfernten Kap der Guten Hoffnung in Südafrika, wo die Urform der Pelargonien herkommt, haben sie es nach der Geranisierung der Alpen tatsächlich bis fast zum Nordkap geschafft.

Das Sammeln von Beeren, eine Sommerbeschäftigung der Norweger, ist bis heute politisch korrekt geblieben, die Jagd hingegen nicht. Es ist die leidige Geschichte: Viele denken bei Fleisch nicht an Tier, kennen nur das panierte Stück auf dem Teller, wissen wenig vom Leben und Sterben der Kreatur, von Zucht und Schlacht. Die Jagd ist aus dem Bewusstsein naturfern lebender Städter verschwunden. Doch ein in freier Wildbahn geschossener Elch hatte vermutlich ein besseres Leben als ein Schlachtschwein. Und ein Wal dürfte auch glücklicher gelebt haben als ein in winzigen Meereskäfigen schwimmender Zuchtlachs.

Das Stadtmuseum von Tromsø zeigt anschaulich die Problematik des Umfeldes auf – und lässt auch die kritischen Stimmen nicht aus. Zwei bedruckte T-Shirts hängen einträchtig nebeneinander. Auf dem einen steht: „Intelligent people need intelligent food“ – „Intelligente Menschen brauchen intelligentes Essen“, eine etwas dümmliche Pro-Stimme für die Jagd auf Meeressäuger. Dafür lässt es die Contra-Stimme an Drastischem nicht fehlen: „Save a whale – harpoon a Norwegian“ – „Rette einen Wal – harpuniere einen Norweger“.