„Das ist sozialer Sprengstoff“

Arbeitslosenzahlen auf neuer Rekordhöhe: Grüne fordern stärkere Weiterbildung und Umsetzungder Hartz-Vorschläge. Union will Arbeitsplätze durch Bürgschaften und niedrigere Gewerbesteuer

von STEFAN ALBERTI

Die Zahlen waren schon am Vortag durchgesickert, offiziell liefen sie am frühen Morgen aus dem Fax. Fast jeder zehnte Berliner ist arbeitslos gemeldet, rund 318.000 Menschen, 4.200 mehr als im Januar, ein Rekordhoch. Nur Stunden später folgten Schuldzuweisungen und Lösungsvorschläge. PDS-Wirtschaftssenator Harald Wolf kritisierte den Bund wegen eines fehlendes Reformkonzepts. Die CDU hingegen kreidete den Anstieg dem Senat an, höhnte über einen „Wowereit-Effekt“ und versprach vollmundig: „Wir schaffen Arbeit.“ Die Grünen wiederum kritisieren eine schleppende Umsetzung der Vorschläge der Hartz-Kommission.

Wolfs Reaktion auf die auf 18,7 Prozent angestiegene Arbeitslosenquote bezeichneten die Arbeitsmarktexperten von CDU- und Grünen-Fraktion, Peter Kurth und Sibyll Klotz, fast unisono als Dokument der Hilflosigkeit. „Auch wenn die Kritik an der Bundesregierung teilweise berechtigt ist, entbindet das Wolf nicht, eigene Konzepte vorzulegen“, sagte Klotz. Die von Wolf propagierte Sonderzone Ost sei bislang „eine reine Sprechblase“. Kurth und der FDP-Politiker Rainer-Michael Lehmann warben zudem für die Politik von SPD-Bundesminister Wolfgang Clement: Wolf solle sich nicht der von Clement angeregten Lockerung des Kündigungsschutzes widersetzen

„Sozialer Sprengstoff“ sind für Klotz die gegenüber dem Vorjahr weit überdurchschnittlich angestiegenen Zahlen von Langzeitarbeitslosen (plus 14 Prozent) und Erwerbslosen unter 25 Jahren (plus 10 Prozent). Zur nächsten Sitzung des Abgeordnetenhauses will die Grünenfraktion gleich fünf Anträge zur Hartz-Umsetzung einreichen.

Vom Senat und vom Landesarbeitsamt fordert Klotz, „das derzeitige Chaos im Weiterbildungsbereich zu beenden“. Sie sieht eine mehrmonatige Lücke beim Übergang der bisherigen Praxis auf die von ihr begrüßte Idee der Bildungsgutscheine, die schnellstens zu schließen sei. Da 41 Prozent der Langzeitarbeitslosen keine abgeschlossene Berufsausbildung hätten, müsse in diesem Bereich unbedingt investiert werden. Stattdessen würden Arbeitslosenhilfeempfänger keine Weiterbildung mehr erhalten. „Wer glaubt, dass man darauf verzichten kann, ist nicht ganz richtig im Kopf“, sagte Klotz.

Als Argumentationshilfe hatten sich die Grünen den Chef eines Weiterbildungsunternehmens herangeholt. Der bestätigte das von Klotz ausgemachte Chaos. Die Gelder seien derart zurückgeschraubt, dass bei ihm 130 Leute auf einer Warteliste für einen Computerkurs stünden.

Die CDU will einen weiteren Anstieg der Arbeitslosenquote mit einem Mehr-Punkte-Programm verhindern: Gewerbesteuer um ein Viertel senken, Unternehmen mit bis zu 20 Beschäftigten per Bürgschaft stützen und den kompletten, mit 30 Millionen Euro veranschlagten Erlöse aus der Messe-Privatisierung in eine Tourismusoffensive stecken. Der dritte Punkt soll zügig neue Jobs in Handel, Hotelerie und Gastronomie bringen.

Fraktionschef Frank Steffel verspricht sich vor allem von den Bürgschaften, gefährdete Arbeitsplätze zu halten. Oft gehe es um vergleichsweise kleine Kredite, für die Kleinfirmen derzeit oft vergeblich Klinken putzten. Von den Geschäftsbanken sei wenig zu erwarten. „Die fühlen sich den Analysten an der Wall Street verpflichtet, aber nicht dem deutschen Mittelstand“, sagte Steffel. 10.000 Euro Bürgschaft pro Arbeitsplatz soll das Land geben, insgesamt mit bis zu einer halben Milliarde bürgen. Steffel sieht darin den entscheidenden Schub oder Halt für ansonsten konkursgefährdete Unternehmen und geht daher nicht davon aus, dass das Geld dem Land verloren geht.

Eine Senkung der Gewerbesteuer um 25 Prozent auf das Niveau des Brandenburger Umlands würde laut Steffels Schätzung die Landesfinanzen kaum schwächen. Dieser Schritt kurbelt in seinen Augen die Wirtschaft derart an, dass das Steueraufkommen trotz des geringeren Steuersatzes schon 2005 über dem jetzigen Stand liegen würde. Ohne diese Sofortmaßnahmen sieht Steffel schwarz: Dann drohe eine „beispiellose Insolvenzwelle“.