: Irgendwo in Afrika
Hamburgs Ausländerbehörde schiebt Flüchtlinge ohne korrekte Papiere in beliebige afrikanische Länder ab. Von Einzelfällen spricht die Behörde, zu viele zum Zählen, sagt der Senat. Flüchtlingsrat, GAL und Anwälte protestieren
von EVA WEIKERT
Gegen geltendes Recht versucht die Hamburger Ausländerbehörde, afrikanische Flüchtlinge ohne anerkannte Reisedokumente abzuschieben. Diesen Vorwurf erheben der Hamburger Flüchtlingsrat und der Rechtsanwalt Mark Nerlinger. Der Hamburger Jurist betreut Afrikaner, die weder über Pässe noch Ersatzpapiere einer Botschaft verfügen und mit einem „Standardreisedokument“ in afrikanische Staaten abgeschoben werden sollen. „Die Verwendung des Formulars in diesen Fällen ist rechtswidrig“, beklagt Nerlinger, da keine Vereinbarung mit den betreffenden Staaten vorliege. Die GAL-Migrationspolitikerin Antje Möller geißelt das Verfahren als „irrwitzig und unmenschlich“.
Nerlingers sieben Mandanten wurde das Papier für Benin, Burundi und Sudan erstellt. Dabei ist die Herkunft der abgelehnten Asylbeweber ungeklärt. Viel schwerer wiegt aus Sicht des Anwalts jedoch, dass von den Staaten keine Zusagen für die Aufnahme der Flüchtlinge vorliegen. Es sei nicht rechtens, Menschen ohne Ausweis-Papiere in fremde Länder abzuschieben. Dies bestätigte jetzt das Verwaltungsgericht.
Es verbot die Abschiebung eines Afrikaners mittels des Einweg-Papiers nach Burundi, weil das Land die Aufnahme verweigert. Obwohl laut Nerlinger keine Belege vorliegen, dass eine Abschiebung in ein anderes Land möglich ist, verlängerte das Amtsgericht die Abschiebehaft. „Haarsträubend“, so Conni Gunßer vom Flüchtlingsrat.
Laut Flüchtlingsrat ist das Papier nur für die einmalige Einreise in ein bestimmtes Land gültig. Offiziell gebe es keine Liste der Staaten, die es akzeptieren. Die Ausländerbehörde verwendet das Dokument ihrem Sprecher Norbert Smekal zufolge nach einem Vorschlag der EU seit 1994 für „Rückführungen, wenn es nicht möglich ist, reguläre Papiere des Herkunftslandes zu erhalten“. Über die Akzeptanz in den Zielländern informiere sich die Behörde durch „Lageberichte des Auswärtigen Amtes, die aber Verschlusssache sind, oder Anfragen bei deutschen Botschaften vor Ort“. Angaben darüber, in wie vielen Fällen solche Papiere für welche Länder ausgestellt wurden, seien „mit vertretbarem Aufwand nicht möglich“, so der Senat in einer Antwort auf eine GAL-Anfrage. Smekal hingegen spricht von „Einzelfällen“.
Die Erfahrung von Nerlinger ist eine andere. „Diese Praxis droht sich zu einem Massenphänomen auszuwachsen“, warnt er. So habe er in der Behörde „gehört“, dass bis zu 80 Prozent der afrikanischen Flüchtlinge ohne Papiere mit dem Formular abgeschoben werden sollen. Der Flüchtlingsrat berichtet von Abschiebeversuchen mit solchen Dokumenten nach Burundi, Sudan, Togo, Niger und Burkina Faso – ohne Rücksicht darauf, ob diese Länder bereit sind, ihren angeblichen Staatsangehörigen aufzunehmen. „Die Behörde legt absolute Ignoranz gegenüber den Flüchtlingen an den Tag“, rügt Möller, „Afrika ist für die einfach Afrika.“ Abschiebungen ohne Aufnahmezusage widersprächen zudem der EU-Flüchtlingskonvention. Mit einer weiteren Anfrage fühlt Möller der Innenbehörde jetzt auf den Zahn.