VEGETARISCHES VON DER GRÜNEN WOCHE : Das Wurst-die-wie-Wurst-aussieht-aber-keine-ist-Produkte-Entwicklungsland
Deutschland sucht den Super-Aufschnitt
Er starrt mich an. Mit dem irren Blick eines Vegetariers, der zu allem bereit ist. Dabei habe ich nur ganz kurz, für einen Moment, an ein Schnitzel gedacht. Saftig, mit einer vom Friteusen-Fett triefenden Pannade. Eindeutig: Der Vorsitzende des Vegetarierbundes kann Gedanken lesen, so fies, wie er mich von seinem Podium fixiert. Wahrscheinlich können das alle Vegetarier, wegen der fleischlosen Ernährung. Ich reiße mich zusammen und versuche an etwas weniger Subversives zu denken. Zum Beispiel, dass das Fleischwurst-Imitat Modell „Prima Wurst“, das ich gerade gegessen habe, ganz annehmbar geschmeckt hätte.
Der „Veggie Carpaccio Aufschnitt Prima-Wurst“ der Firma Viana bekam gestern auf der Grünen Woche den Vegetarischen Trendpreis „Vep“. Der zeichnet das beste Produkt aus, das absolut nichts von einem Tier enthält, aber fast wie echtes Fleisch aussieht und so ähnlich schmeckt. Aufschnitt aus Tofu, Braten aus Weizen oder Hähnchenbrust aus allem, nur keinem Hähnchen und keiner Brust.
Thomas Schönberger, der Gedanken lesende Vegetarier-Vorsitzende nennt den Preis „Wep“. Das klingt fast wie „Web“ und soll wohl eine jung-dynamische Dotcom-Gründerzeit-Aura schaffen. „Unser Verband versucht sein Öko-Latschen-Image abzulegen“, referiert der große Vorsitzende und blickt auf das Vep-Logo hinter ihm. Es sieht verdächtig aus, wie der Nike-Swoosh. Jung und dynamisch eben.
Ich fahre mit der Zungenspitze über meine Vorderzähne und stoße auf einen Rest Prima-Wurst-Carpaccio. Von dem anfangs so netten Fleischaroma blieb nur noch ein etwas dörriger Nachgeschmack.
Der Sieger ergreift das Wort. Viana-Vetriebsleiter Peter Kirwel wirkt nicht, als würde er mit fleischfreien Ökoprodukten sein Geld verdienen. Auch er hat das Ökolatschen-Image abgelegt. Stattdessen trägt er eine rote Baseballjacke. Die Haare, die er nicht abrasiert hat, sehen aus wie eine zu kleine Mütze. Kirwel nimmt 100 Gramm eingeschweißten Aufschnitt und hält ihn vor den Journalisten hoch wie ein frisch erstandenes Hitler-Tagebuch. Er erzählt mit rheinischem Akzent von dem tollen Rezept seiner Sieger-Wurst („Tofu und Weizeneiweiß“), den Plänen für die Zukunft („Demnächst werden wir fischfreien Tunfisch vorstellen“) und dass Deutschland in Sachen Wurst-die-wie-Wurst-aussieht-aber-keine-ist-Produkte noch ein Entwicklungsland ist.
Der Prima-Wurst-Carpaggio-Restgeschmack in meinem Mund wird immer befremdlicher. Er erinnert ein wenig an dieses japanische Knabbergebäck mit dem Fisch-Honig-Geschmack, von dem man erst eine halbe Tüte isst, nur um nach einer halben Stunde festzustellen, dass es keine so gute Idee war.
Peter Kirwel dreht richtig auf. „Deutschland ist das fleischlastigste Land in Europa“, agitiert er. „Man kann hier in den Supermarkt gehen und sieht erst einmal 30 Meter Fleisch. Manche Regale sind von vorne bis hinten rosa.“
Mmhhh. 30 Meter Fleisch. Ein ganzes Regal voll. Ich bekomme Hunger. Nach der Preisverleihung suche ich auf dem Messeplan eine Fleischhalle, finde aber auf die Schnelle keine. Doch schon fünfzig Meter weiter, in der Mecklenburg-Abteilung, stolper ich über das richtige Angebot: „Spezialtüte: 1,5 Kilo Fleisch sortiert, 10 Euro“. Aber Halt. Was ist da wohl an Fett drin? 500 Gramm, 800 Gramm oder gar noch schlimmer? Um das wegzubekommen müsste ich mindestens drei Tage am Stück Sport machen. Nein danke, kein Bedarf. Ich esse zwei Stück Primawurst. Ich bin satt. Sofort.
BERNHARD HÜBNER