„Kunst muss im Kontext stehen“

Autonome Kunstwerke zu präsentieren, findet Klaus Theweleit, ist geradezu absurd angesichts der RAF, die auf totale politische Öffentlichkeit angelegt war. Der Autor und Kunstprofessor im Gespräch über die Konzepte der Berliner RAF-Ausstellung

INTERVIEW STEFAN REINECKE

taz: Die RAF-Ausstellung wird es, wenn überhaupt, ohne öffentliche Mittel geben. Die hysterisierte Debatte zuvor hat gezeigt, dass von Historisierung keine Rede sein kann. Verstehen Sie, warum 25 Jahre nach 1977 noch immer so eine Gesinnungsschlacht tobt?

Klaus Theweleit: War es eine Gesinnungsschlacht? Ich habe Zweifel. Die Befürchtung vieler Politiker, die RAF könne heroisiert oder mystifiziert werden, schien mir vorgeschoben. Es gab nicht den Hauch eines Indexes dafür. Ich glaube, viele Politiker hatten eher Angst vor der Darstellung der Rolle, die die Politik 1977 gespielt hat. Damals wurden alle Parteien von einem Verfolgungswahn erfasst. Warum und wie scharf er bei ihnen auftrat, wie stark Staat und Justiz sich von der RAF zu einer partiellen Abschaffung des Rechtsstaats haben treiben lassen, daran wollen sie nicht erinnert werden. Der Vorwurf, dass die Angehörigen der Opfer nicht berücksichtig wurden, war eine Geisterdiskussion.

Trotzdem: Woher kommt die fortwährende erstaunliche affektive Präsenz der RAF?

1997, als 20 Jahre Stammheim medial begangen wurden, glaubte ich, dass diese Geschichte nun beendet wäre; verbucht als abgeschlossene Historie. Doch seitdem geschieht etwas ganz anderes. Wir erleben die Überführung der RAF aus einem historischen in einen mythologischen oder folkloristischen Raum. Die RAF hat eine Funktion wie Billy the Kid, Calamity Jane oder Schinderhannes bekommen, losgelöst von jeder konkreten Geschichte – und das wird wohl so bleiben. Wie Billy the Kid wird es die RAF auch in 100 Jahren geben – als Stoff für noch einen Film, noch einen Song, noch ein Bild oder eine andere Neuaufnahme. RAF ist zum Zeichen geworden für Anti-Staat, sein Leben aufs Spiel setzen, Gewalt und sexuelle Libertinage. Deshalb sind RAF-Zeichen auf T-Shirts, Stickern, in Musikstücken und in Filmen ebenso möglich wie das Che-Guevara-Logo auf Zigarettenpackungen.

Anders gesagt: RAF ist Pop.

Ja, Pop ist ein Teil. Damit einher geht Geschichtsvernichtung. Nicht nur die der RAF, sondern auch anderer Teile der 70er-Jahre: Ökologie, Feminismus. Deren reale Geschichte wird überdeckt. Was bleibt, ist der Terroristen-Kyffhäuser als Pop-Mythos.

Wenn Ihre Analyse richtig ist, scheint es besonders bedauerlich, dass das ursprüngliche Konzept der Ausstellung, die RAF in der Kunst neben zeithistorische Betrachtungen zu stellen, vom Tisch ist. Kunst plus Politik – das wäre der Versuch gewesen, die Dekontextualisierung der Bilder zu durchbrechen und Zeichenproduktion und historische Aufklärung zu verknüpfen.

Das ursprüngliche Konzept, in dem Wolfgang Kraushaar den historischen Part betreuen sollte, hätte dazu wohl nicht ausgereicht – wenn ich an die klinisch gereinigte Aufmachung der „Wehrmachtsausstellung II“ denke. Im neuen Konzept sollen die Kunstwerke nun von dem Politischen mehr oder weniger isoliert werden. Die Kunst soll als für sich selbst sprechendes „Autonomes“ erscheinen. Das halte ich für völligen Unsinn.

Warum?

Weil Kunstwerke nicht autonom sind, sondern immer in Kontexten stehen. Es kommt darauf an, wie vernünftig man sie in dem Kontext präsentiert. Ob man das primitiv biografistisch macht oder unter komplexer Einbeziehung aller relevanten Wirklichkeitsaspekte. Autonome Werke zu präsentieren ist angesichts der RAF, die auf totale politische Öffentlichkeit angelegt war, geradezu absurd. Es soll zwar begleitende historische Teile wie Dokumentenräume geben. Aber schon die Idee – hier kann man die Geschichte anschauen, dort die Kunst – wirkt albern. Die Bereiche müssen ineinander greifen.

Sind Sie skeptisch gegenüber Kunstwerken, die sich mit der RAF befassen?

Nur insofern sie unter das Kriterium fallen, das ich mit „abstraktem Radikalismus“ bezeichnet habe.

Was heißt das?

Für viele Künstler trifft etwas Ähnliches zu wie für die so genannten Sympathisanten: Die Sympathisanten haben ihren radikalen politischen Selbstanspruch in den 70ern nicht leben wollen oder können – nämlich wie die RAF mit Waffen zu hantieren. Ihre affektive Bindung an die RAF kam weitgehend aus dem Gefühl eigenen Versagens. Bei Künstlern ist dieses Motiv eher verstärkt am Werk. Der radikale Künstler als Weltenschöpfer will bestehende Verhältnisse umstürzen. Das ist Teil seiner genuinen Selbstkonstruktion. Tatsächlich aber sieht er sich mit der gesellschaftlichen Bedeutungslosigkeit seiner Kunst konfrontiert. Ein Ausweg daraus ist, sich mit dem stärksten Radikalismus im Politischen zu verbinden – die Waffengewalt der RAF für die Durchschlagskraft des eigenen Werks nutzbar zu machen. Indem der Künstler RAF-Motive verarbeitet, profiliert er sich auf ästhetischer Ebene als Radikaler.

So wie manche Filme eine Liebesgeschichte bedeutend machen, indem sie den Holocaust als Dekor benutzen, nutzen Künstler die RAF?

Ja, so ähnlich. Es geht um Bedeutungsgewinn. Rudi Dutschke hat in anderem Zusammenhang von „parasitärer Öffentlichkeit“ geredet. Viele Künstler haben die RAF parasitär benutzt. Gerhard Richter hat die berühmte Bilderserie zum 18. Oktober gemalt und in einem Interview dazu gesagt, dass das Malen von Bildern mit den Accessoires der RAF-Toten auch eine Strategie gegen den eigenen Bedeutungsverlust sei. Man kann dies, wie Bazon Brock, Lumperei nennen, man kann es freundlicher den Versuch des Künstlers nennen, im Focus des öffentlichen Interesses zu bleiben, ohne selbst zu schießen. Entscheidend ist, dass man die Werke in solchen Zusammenhängen präsentiert. Man muss zeigen, worauf sie hinauswollen, was sie mit der Politik der RAF, aber auch mit der eigenen Künstlerpolitik zu tun haben.

Ist diese Kritik an den Bildern keine Bevormundung? Nehmen Sie die Kunst damit nicht an eine zu kurze Leine?

Nein. Das einzelne Kunstwerk gewinnt durch den Kontext, und oft braucht es einen Tritt, um sich zu öffnen. Richter ist ja bewusst, was er tut. Er weiß, dass er die RAF für seine eigene Bedeutungsproduktion nutzt. Wenn man etwa dieses Interview zwischen die Bilder hängt, kann jeder Zuschauer seinen Blick justieren. Wie man die Werke präsentieren soll, muss man dann am Einzelfall entscheiden. Das Spektrum reicht von Gerhard Richter über Fassbinder, Joseph Beuys, Klaus Staeck, Sigmar Polke, Wolf Vostell, Alexander Kluge, Schlöndorff, Edgar Reitz zu Hans Peter Feldmann, Gerd Conradt oder Andreas Veiel und vielen anderen.

Noch mal zurück zum RAF-Pop. Ist das wirklich die Haupttendenz? Haben die Bilder vom 11. 9. die RAF-Zeichen nicht übermalt und an den Ernst der Lage erinnert – daran, dass Terror Tote produziert. Das zerstört die Pop-Beliebigkeit.

Nein, ich glaube, der 11. 9. hat diese Tendenz eher verstärkt. Bin Laden ist ja ein reiner Popmythos, ein nicht greifbares Un- oder Überwesen, das nur in ein paar gefälschten oder nicht gefälschten Videoclips existiert. Er ist ein großer Sender, so wie es die RAF im Knast auch wurde: globale mediale Gespenster beide. Der ökonomischen Globalisierung geht ja die Globalisierung durch Senderzeichen voraus. Alles wird zum Logo, Che Guevara, das RAF-Emblem oder der Aufdruck University of Berkeley auf den T- Shirts von Analphabeten.

Interessant ist, dass es bei der RAF eine Spiegelung zwischen 1970 und heute gibt: Die RAF wird Pop, und das verweist auf ihren Ursprung. Baader und die RAF produzieren von Beginn an Selbststilisierungen. Der RAF-Pop ist keine nachträgliche Zuschreibung, eher eine originale Hervorbringung, die nun verstärkt wird.

Ob man Baader als Belmondo mit Sonnenbrille eine „originale Hervorbringung“ nennen soll, sei dahingestellt. Jedenfalls stilisierte er sich als Kunstfigur. Wie sehr Gudrun Ensslin und Bernward Vesper in den 60ern im Literarischen verankert sind, kann man in Gerd Koenens verdienstvollem Buch über den Ursprung der RAF „Vesper, Ensslin und Baader“ nachlesen. Koenen liefert eine Menge Material, das die Widersprüchlichkeit der Wege in den Terrorismus verdeutlicht. Den Weg in die Abstraktionen letztendlich. Ensslin kümmert sich nur in Briefen aus dem Gefängnis um ihr Kind. Als sie herauskommt, vermeidet sie jedes Treffen. Das Leben spielt schon in rein medialen Zeichen. Anstelle des politischen Denkens treten zunehmend abstrakte antiimperialistische Formeln und verselbstständigte Gewalt. Die RAF hat keine politische Praxis – und ohne politische Praxis bleibt, wenn man sich für die Gewalt entschieden hat, kaum ein Wirkungsort als das Gefängnis. Das ist zugleich die Entscheidung für eine mediale, explosive Verbreitungswirkung. Im Knast verwandelt sich die RAF endgültig in einen Sender. Sie zielte dabei auf ein aufgeladenes Endzeichen, das sich erst im Tod realisiert. Deshalb gehört der Tod in Stammheim zwingend dazu. Die abstrakte Zeichen- und Todespolitik der RAF bereitet die mythologische Ebene vor, auf der sie heute inszeniert wird.

Bleibt die Frage, wie die historische Korrektur der RAF-Mythologie aussieht. Was haben wir heute mit der RAF noch zu tun? Haben wir damit noch etwas zu tun – jenseits eines mehr oder weniger unverbindlichen Interesses daran, wie es denn eigentlich gewesen ist?

Man muss den Blick weiten, eine breite Gesellschaftsgeschichte erzählen, inklusive der Popstilisierungen, der Deformationen und Schäden. Dazu gehört, dass 1977 in Mogadischu die große Koalition von SPD, Union und FDP geboren wurde. Damals haben die Demokraten den Angriff der „linken Faschisten“, so haben sie die RAF verstanden, abgewehrt. Diese große Koalition regiert seitdem faktisch. Ob die CDU oder die SPD den Kanzler stellt, ist seit 1977 relativ egal.

Ein zweiter zentraler Punkt ist das Verhältnis der Linken zur RAF. 1977 geht nicht nur die RAF unter, es ist auch das Jahr der Gründungen und ihrer Mythen. Die Linke wird 1977 insgesamt ökologisch – und sie gibt ihren Antiparlamentarismus auf. Für die Kräfte der Linken, die auf eine Parteigründung, eine breite Ökologiebewegung in Verbindung mit Feminismus hinsteuerten, war die RAF ein Störfaktor. Sie war ein Argument in den Händen der Rechten, so wie zuvor die DDR. Die RAF war der Beweis, dass die Linke nicht vertrauenswürdig ist. Die RAF musste, so gesehen, verschwinden.

Die RAF war die Verkörperung einer kollektiven linken Gewaltfantasie der späten Sechzigerjahre. 1977 ist endgültig klar, dass die Militanz in den Tod führt. Gleichzeitig ist klar, dass es keinen Weg zurück in die Schmidt-SPD geben kann. Deshalb die Neuorientierung. What’s wrong with it?

Ich glaube, dass es 1977 eine halbbewusste Opferung der RAF gab. Die so genannten Sympathisanten hatten der RAF gegenüber ein schlechtes Gewissen, weil sie nicht mit der Waffe kämpfen wollten. Gleichzeitig wollten sie eine ordentliche parlamentarische Linke werden. Die RAF war auf dem Todesweg – und nach Mogadischu und den Selbstmorden war man die Geschichte endlich los. Nun konnte sich die ökologisch-parlamentarische Linke ungestört mit ihren Neugründungen beschäftigen. Dazu gehörte ja auch die taz: Eine überregionale Tageszeitung ist eine andere Form linker Publikation als Underground-Blätter, die unter dem Ladentisch verkauft werden. Das Umschalten der Linken 1977 hing mit dem Tod, mit der symbolischen Opferung der RAF, zusammen. Auch das müsste die Ausstellung zeigen. Sonst wäre es eine politisch kastrierte Geschichte. Ohne linke Selbstreflexion kann man nicht von der RAF erzählen.