: Verborgene Sprache
Am 9. März 1943 begann die Deportation von Sinti und Roma vom Gelände des Bremer Schlachthofs in das Vernichtungslager Auschwitz. Die Bremer Chorwerkstatt veranstaltet anlässlich des Jahrestags den Konzertabend „Aven Rrom – Komm Zigáni“
„Wenn wir auch kein Federbett haben, tun wir uns eine Grube graben, legen Moos und Reisig rein.“ Kann man diese Zeilen aus dem alten schlesischen Volkslied „Lustig ist das Zigeunerleben“ heute noch singen? Noch dazu im Bremer Schlachthof, dem Ort, von dem Sinti und Roma von Bremen aus nach Auschwitz deportiert wurden? Man kann, meint die Bremer Chorwerkstatt und hat zum 60. Jahrestag der Deportation unter dem Titel „Aven Rrom – Komm Zigány“ ein Programm erarbeitet, das zum großen Teil aus Liedern über „Zigeuner“ besteht, von „Brauner Bursche führt zum Tanze“ (Brahms) bis zu „Die Liebe von Zigeunern stammt“ (Bizet).
„Wir können nur das singen, was uns zusteht“, sagt der Vorsitzende des Chores, Kurt Sommer. Ursprünglich wollte sich der Chor, der jedes Jahr ein politisches Programm erarbeitet, auch das traditionelle Liedgut der Sinti und Roma aneignen. Davon nahmen die Mitglieder als „direkte Nachfahren der Henker“ (Sommer) aber – bis auf vier Lieder im zweiten Teil des Programms – Abstand. „Es war sehr schwer für uns, Einblicke in diese Kultur zu erhalten“. Die Sprache der Sinti und Roma, das Romanes, existiert nicht als Schriftsprache und wird bis heute von ihren Sprechern aus Angst vor Verfolgung nur sehr behutsam preisgegeben.
„Wir sind vorsichtig, wenn Nicht-Sinti etwas über uns machen wollen“, sagt Ewald Hanstein, der langjährige Vorsitzende des Bremer Sinti Vereins und kann sich noch gut daran erinnern, dass der Verein ursprünglich gegründet wurde, ohne dass nur ein einziger Sinto dabei gewesen wäre. Aber von dem Programm-Konzept der Chorwerkstatt war der Verein schnell begeistert: „Wenn Menschen uns unterstützen wollen, die mit dem Herzen dabei sind nehmen wir das gerne an.“
Der Verein begrüßt die Gelegenheit, mit dem Konzert öffentlich der 500.000 von den Nazis ermordeten Sinti und Roma in Europa zu gedenken. Die 1995 auf Initiative von Ewald Hanstein am Schlachthof angebrachte Gedenktafel, war in den letzten Jahren selbst etwas in Vergessenheit geraten, seit die Kooperation zwischen den Sinti und dem Kulturzentrum eingeschlafen ist.
Der Schlachthof steuerte allerdings den Kontakt zu der Osnabrücker Tänzerin Waltraud Weiss-Hackmann bei, deren Eltern zu den mindestens 275 Sinti und Roma gehörten, die in den Tagen des 8. und 9. März 1943 für den Transport nach Auschwitz am Schlachthof zusammengetrieben wurden. Frau Weiss-Hackmann, die damals von Nachbarn versteckt wurde, wird auf der Veranstaltung neben Ewald Hanstein als Zeitzeugin berichten.
Über den Umgang mit den überlebenden Opfern des Holocaustes, die nach Bremen zurückkehrten, gibt eine Ausstellung im Schlachthof-Foyer detaillierte Auskunft. Die Überlebenden wurden von einem Lager ins Nächste umquartiert. Das letzte Lager am Warturmer Platz neben der Müllhalde, von Franz Radziwill in seinem Gemälde „Der bunte Gasometer“ verewigt, wurde erst Anfang der 70er Jahre aufgelöst. „Die Landfahrer, die heute noch im Lager ansässig sind, haben sozusagen die erste Stufe der Zivilisation erklommen (große Heiterkeit)“, heißt es im Protokoll einer Bürgerschaftssitzung von 1955. Dieses und andere historische Zitate wird der Sprecher Horst Breiter in das Konzert einstreuen.
„Wir stellen die Lieder zur Diskussion und konfrontrieren sie mit dem, was tatsächlich passiert ist“ umreißt Kurt Sommer das Konzept. So werden die Zeilen aus „Lustig ist das Zigeunerleben“ mit Bildern von Massengräbern kontrastiert. Traditionelle Musik der Sinti und Roma präsentieren im zweiten Teil des Abends Tornado Rosenberg aus Hamburg, die Bremer Swing Connection und die Bremer Chorwerkstatt.
Seit 1995 sind die Roma und Sinti neben Dänen, Friesen und Sorben als Minderheit in Deutschland staatlich anerkannt. An den aktuellen Verlust des Minderheitenschutzes für die Roma im ehemaligen Jugoslawien wird der frühere Bürgermeister Hans Koschnick in einer Rede auf der Veranstaltung hinweisen. Ralf Lorenzen
Das Konzert „Aven Rrom – Komm Zigány“ findet am 9.3. um 19.30 Uhr im Schlachthof statt