frisches flimmern
: Gesellschaftliche Tabus im Kino

Kino ist auch ein Ort der Wirklichkeitsspiegelung. Gelegentlich kommen umstrittene Themen zur Sprache. Diese drei Filme erzählen von sogenannten gesellschaftlichen Tabus.

SEX

„NC-17“ ist nicht etwa die Klassifizierung für ein Enterprise-Raumschiff, sondern die restriktivste Wertung des amerikanischen Altersfreigabesystems für kommerzielle Filme. Der Spielfilm „Die Träumer“ von Bernardo Bertolucci kommt, trotz der Einteilung in diese gefürchtete Kategorie (“No children under 17 admitted“), ungekürzt in die amerikanischen Kinos. Bertolucci, der schon 1972 mit „Der letzte Tango in Paris“ schockierte, kehrt in seinem neuen Film in die französische Hauptstadt zurück: 1968 ist das Jahr der Cinéasten. In der berühmten Cinémathèque von Paris verschlingen junge Leute Filme des alten Hollywood und der Nouvelle Vague. Als der Leiter Henri Langlois, entlassen wird, kommt es zu Demonstrationen. Auch Theo (Louis Garrel), seine Zwillingsschwester (Eva Green) und der schüchterne Amerikaner Matthew (Michael Pitt) sind unter den Protestierenden.

Als das Museum geschlossen bleibt, ziehen sie sich in die elterlicheAltbauwohnung im Quartier Latin zurück und beginnen ein harmloses Film-Ratequiz, das sich in ein gefährliches Spiel um Lust und Begierde wandelt. Inspiriert von ihren Filmidolen spielen sie Szenen nach, die immer erotischer werden. Es gibt weder Tabus noch Regeln. Sie lieben und quälen sich und verlieren den Sinn für die Realität. Dann fliegt ein Stein durchs Fenster.

Das alte Europa beeinflusst auf cineastische Weise die dominante amerikanische Filmkultur. „Schließlich ist ein Orgasmus immer besser als eine Bombe“, sagt Bertolucci.

Völkermord

Der Ararat ist für die Armenier ein heiliger Berg, Symbol für die ersehnte Unabhängigkeit und ihre verneinte Geschichte. Atom Egoyan erinnert in seinem neuen Film „Ararat“ an den armenischen Völkermord durch die Jungtürken, bei dem 1915 über 1,5 Millionen Armenier ums Leben kamen.

Erzählt wird die Geschichte zweier zerbrechender Familien. Der junge Raffi (David Alpay) wird an der kanadischen Grenze vom Zollbeamten David (Christopher Plummer) mit Filmbüchsen aus der Türkei aufgehalten. Der alte Mann will wissen, welches Geheimnis sich darin verbirgt. Während des Verhörs entfalten sich die Geschichten von Liebe und Hass, Vorwurf und Verleugnung im Schoß der jeweiligen Familien. Der kitschige Film im Film, den der alte armenische Regisseur Saroyan (Charles Aznavour) dreht, soll der Welt den abgestrittenen Völkermord vor Augen führen. Doch Egoyans Werk ist kein anklagender Film, sondern ein Film über das Verdrängen dieser Tatsache. „Ich wollte zeigen, wie Verleugnung das Trauma fortsetzt“, sagt er.

Tod

Der Tod wird gerne verdrängt. Mit der eigenen Sterblichkeit konfrontiert, ist das Entsetzen oft groß. Regisseur Robert Schwentke (“Tatoo“) begegnet dem Unausweichlichen in seinem neuen Film „Eierdiebe“ mit viel schwarzem Humor. Er verarbeitete im Drehbuch persönliche Erfahrungen und fängt den alltäglichen Klinikhorror ein. Erfolgstyp Martin (Wotan Wilke Möhring) bricht am Geburtstag seines Vaters beim Weinholen im Keller zusammen. Diagnose: Hodenkrebs. Die Ärzte schnipseln ihm zunächst eine Hälfte weg. Als die Götter in Weiß zur Totaloperation raten, beschließt Martin sich für eine langwierige, schmerzhafte Chemotherapie. Ab da ist er für das unbarmherzige Personal nur noch „Der Hoden“.

Ein gelungener deutscher Ensemblefilm, der die Balance zwischen skurriler Komödie und anrührendem Drama hält, ohne betroffen zu machen. „Tumor ist, wenn man trotzdem lacht“ sagt Martin zu seinem Bruder Roman (Alexander Beyer) im Film, während beide auf einer Bank sitzen und einen Joint rauchen.

STEFAN ORTMANN