: 1.000 Patinnen gesucht
Die Aufhebung des Sanierungsgebiets um den Heinrichplatz in Kreuzberg bringt die Schokofabrik in finanzielle Bedrängnis. Patinnen sollen helfen, das Frauenzentrum und die Projekte zu erhalten
von WALTRAUD SCHWAB
Letztes Jahr wurde das Sanierungsgebiet um den Heinrichplatz in Kreuzberg nach 30 Jahren aufgehoben. Erheblich von dieser städtebaulichen Entscheidung ist das Frauenzentrum Schokofabrik betroffen, entfallen damit doch Senatszuschüsse für die Miete der 1981 im Zuge der behutsamen Stadterneuerung, aber auch der Hausbesetzer- und der Frauenbewegung entstandenen soziokulturellen Begegnungsstätte. Deren Miete wird sich nun nahezu verdoppeln. Eine Möglichkeit, den entstehenden Fehlbetrag durch andere öffentliche Gelder gedeckt zu bekommen, ist nicht in Sicht.
Die Geschichte der Schokofabrik spiegelt die Entwicklung der Frauenbewegung seit Anfang der 80er. Davor waren Feministinnen vor allem mit der Formulierung einer frauenbezogenen Politik beschäftigt. Paragraf 218, das Recht auf körperliche Selbstbestimmung, sexuelle Gewalt, ungleiche Bezahlung, Mehrfachbelastung, mangelnde Aufstiegschancen waren Themen, für die Frauen auf die Straße gingen. „Das Private ist politisch“ brachte alles auf den Punkt.
Dazu entstand vor 20 Jahren eine Gegenbewegung: Frauenprojekte in großer Zahl wurden gegründet. Sie wollten für das, was bis dahin theoretisch gefordert wurde, eine praktische Umsetzung unter Berücksichtigung ihrer jeweiligen Zielgruppe finden. Gleich ob sie Akrobatinnen oder Amazonen waren, Hebammen oder Hilfsarbeiterinnen, Migrantinnen oder Mütter, Lehrerinnen oder Lesben, Zahnärztinnen oder Zofen. Alle wollten mit ihren Bedürfnissen ernst genommen werden.
Anders als viele der damals entstandenen Projekte hat die Schokofabrik, eines der größten europäischen Frauenzentren, eine Entwicklung aus dem Nichts genommen. Es gab eigentlich kein Haus, es gab keine bestimmten Frauen, die es wollten, es gab keine konkrete Idee, was in dem Haus, das keine bestimmte Frau wollte, gemacht werden sollte. Wohl aber gab es den Wunsch, etwas mit und für Frauen zu tun.
Der Südosten von Kreuzberg war damals ein heruntergekommener Kiez. Weil ursprünglich für den Kahlschlag freigegeben, waren ganze Straßenzüge verwahrlost. Nur Leute, die billigste Mieten brauchten, lebten da: Studenten, Migranten, sozial Benachteiligte. Gesellschaftliche Missstände traten offen zutage.
Als sich in den 70er-Jahren neue städtebauliche Ideen durchsetzten, wurde vom Abriss Abstand genommen, stattdessen wurde das Gebiet im Rahmen einer Internationalen Bauausstellung „behutsam stadterneuert“. Nicht nur sollten die Häuser saniert werden, auch fehlende soziokulturelle Infrastruktur sollte im Rahmen der Ausstellung aufgebaut werden. Zeitgleich war durch die enorme Wohnungsnot in Westberlin die Hausbesetzerbewegung entstanden. In dieser Aufbruchsstimmung besetzten Frauen die ehemalige Schokoladenfabrik „Greiser & Dobritz“, die in der Nähe des Heinrichplatzes lag. Ihr Ziel: In der seit mehr als zehn Jahre leer stehenden Ruine wollten sie ein Stadtteilzentrum für Frauen. Im Grunde eine verrückte Idee, denn außer einer akzeptablen Bausubstanz gab es im Haus nichts weiter.
Fast zehn Jahre dauerte es, bis die Fabrik fertig umgebaut war. Zeit, in der die Aktivistinnen viel lernten: wie man Finanzpläne erstellt, Geld einfordert, Utopien aufrechterhält, sich eine Öffentlichkeit schafft, sich als Bürgerin mit Rechten, nicht nur mit Pflichten begreift. „Als Frauen haben wir dort so etwas wie eine zweite Sozialisation erlebt“, sagt eine ehemalige Aktivistin.
Auf den 1.000 Quadratmetern gibt es heute ein türkisches Bad mit Sauna, zwei Sportetagen, ein Treffpunkt für Frauen und Mädchen aus der Türkei, Sozialberatung, eine Tischlerei, ein Café, einen Kinder- und Schülerinnenladen, Wohnungen für Frauen sowie einen Bildungsbereich.
„Heute müssen wir lernen, uns zu vermarkten“, meint die Projektkoordinatorin der Schokofabrik, Stefanie Hömberg, mit Blick auf die neuen Herausforderungen. Denn für jeden Quadratmeter der Schokofabrik wird nun eine „Patentante“ gesucht, die bereit wäre, „die Schoko“ dauerhaft mit mindestens 2,50 Euro monatlich zu unterstützen. Nur so kann gewährleistet werden, dass das Zentrum nach der Aufhebung des Sanierungsgebiets weiterbestehen kann. Alles ist ein Geben und Nehmen. Die „1.000 Tanten“, die gesucht werden, sollen nicht nur in ihre Tasche greifen, sondern sie werden selbstverständlich auch tausendfach belohnt.
Das Patinnenprojekt wird im Rathaus Kreuzberg bei der Langen Nacht der Frauen, Tour 1, lanciert und vorgestellt