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Archiv-Artikel

„Totale Loyalität wie unter Milošević“

Kann man die USA mit der Diktatur in Serbien vergleichen? Die Belgrader Dramatikerin Biljana Srbljanović war in New York – und hat sich über die ungleiche Verteilung von Mitgefühl gewundert: „Wir wissen, wie es ist, wenn Flugzeuge alles zerstören. Aber das verstehen die Amerikaner nicht“

Interview CHRISTIANE KÜHL

taz: Frau Srbljanović, während des Kosovokrieges sind Sie in ihrer Heimat Belgrad geblieben, obwohl Sie andere Möglichkeiten hatten. Was hat Sie, nachdem dieser Krieg endlich vorüber ist, ausgerechnet in die USA gezogen, wo gerade ein neuer vorbereitet wird?

Biljana Srbljanovic: So habe ich noch nie darüber nachgedacht … (lacht) – vielleicht hat es mit meiner Adrenalin-Abhängigkeit zu tun. Mir war immer klar, dass ich Belgrad nur für eine Stadt verlassen würde: New York. Als das Lehrangebot der New York University kam, habe ich keine Sekunde gezögert. Das hat auch mit meinem ganz persönlichen Dämon zu tun, diesem Gedanken, dass ich damals vielleicht hätte gehen sollen. Dass mein Leben ganz anders wäre, wenn ich nicht in Serbien geblieben wäre. Dass ich ganz anders wäre – zum Beispiel nicht so stresssüchtig.

Sie sind mit der „Belgrader Trilogie“, einem trostlosen Drama über serbische Emigranten, vor 6 Jahren bekannt geworden und haben im Anschluss stets politische Themen bearbeitet. Wie gestaltet sich das Interesse Ihrer New Yorker Studenten an Politik und politischer Kunst?

Wenn wir Europäer von politischem Theater sprechen, denken wir an Politik. Wenn Amerikaner von politischem Theater sprechen, denken sie an Soziologie. Ein politisches Stück ist hier ein Stück über eine Lesbe oder einen zu Unrecht verurteilten Schwarzen. Wenn ich zu meinen Studenten sage: „Lasst uns über den Krieg reden“, fragen die: „Welchen Krieg?“ Und ich sage: „Hey, den, der gerade geführt wird!“ Auf dem Campus werden Anti-Kriegs-Flugblätter verteilt, aber eine Bewegung kann man das nicht nennen.

Halten Sie es für obzön, den Chauvinismus der Serben unter der Regierung Milošević und den Chauvinismus der USA unter Bush zu vergleichen?

Das ist schwer zu beantworten. Die USA sind eine Demokratie und ein zivilisiertes Land, in dem Sinne, dass man hier nicht einfach losziehen kann und das halbe Nachbardorf abschlachten und dabei so tun kann, als sei das normal. Andererseits kann man auf einen anderen Kontinent ziehen und es tun. Natürlich gibt es hier keine Diktatur. Damit sind die USA und Serbien absolut nicht vergleichbar – wobei andererseits die Art, wie das Volk dem Präsidenten folgt, diese totale Loyalität, mich sehr wohl an meine Zeit unter Milošević erinnert.

Sie hatten in Ihren Kriegstagebüchern Milošević Massenhypnose via Fernsehen vorgeworfen.

In Diktaturen, wie Serbien eine hatte, kontrolliert die Regierung alles. In Amerika kontrolliert nicht die Regierung alles. Hier kontrolliert das Geld alles, inklusive der Regierung. Der Staat zensiert die Medien nicht, aber die Medien verkaufen ihre Nachrichten. Gucken Sie sich doch das US-Fernsehen an; da gibt es andauernd „breaking news“. Ich glaube, dieser ganze Nordkorea-Konflikt wurde nur erfunden, um mehr Werbezeit in den Nachrichtensendungen zu verkaufen.

Teilen Sie diese Ansichten mit Ihren amerikanischen Freunden und Kollegen?

Die Amerikaner haben offensichtlich ein Problem mit Kritik. Sobald man etwas kritisiert, heißt es: „Du bist gegen uns. Alle hassen uns.“ Das war übrigens genauso in Serbien, ein echtes Mantra: „Die ganze Welt hasst uns. Wir haben keine Ahnung warum, wir sind doch die Guten.“ Man probiert zu erklären, dass man Amerika nicht hasst, sondern im Gegenteil liebt, dass man amerikanische Kultur als Teil seiner eigenen kulturellen Tradition umarmt – aber dass es da ein Problem gibt, dem sich die Amerikaner stellen müssen. Das funktioniert nicht. Sie sehen es nicht einmal.

Ihr Stück „Der Sturz“ ist inspiriert von Umberto Ecos Satz „Faschismus beginnt, wenn die Leute aufhören aufzupassen“.

Ich glaube, jede Großmacht der Geschichte hat dieses Problem. Man kann keine Supermacht sein, besonders nicht die einzige Supermacht der Welt, und trotzdem cool. Man muss sehr stolz auf sich sein und mehr wollen und noch mehr, und irgendwann hat man einfach keine Ahnung mehr, was um einen herum eigentlich passiert. Die Angst der Amerikaner vor Linken und Kommunisten beispielsweise ist lächerlich. Hier herrscht eine neue McCarthy-Ära.

Bekommen auch Sie das zu spüren? Sie stammen ja aus einem exkommunistischen Land?

Überhaupt nicht. Das ist ja das Tolle an New York. Sie könnten hier aus Kabul-Zentrum sein, und es wäre allen egal.

Da sagen aber manche Muslime seit dem 11. September etwas anderes.

9-11 war eine grauenhafte Tragödie. Ich glaube, es war unmöglich, darauf normal zu reagieren. Als ich im Oktober 2001 zu Besuch in New York war, wollte ich mir Ground Zero gar nicht angucken. Alle sagten, tu es nicht, es ist ein fürchterlicher Anblick, es stinkt grauenhaft. Am letzten Tag meines Aufenthalts ging ich doch, und wirklich: Es sah fürchterlich aus und stank grauenhaft. Aber ehrlich gesagt sah es wie jede Ruine aus und roch wie alles verbrannte Menschenfleisch. Ich meine, ich kenne den Geruch, es ist egal, welche Ideologie dazu geführt hat. Die Amerikaner sollten verstehen, dass wir ihren Schock und die Trauer verstehen können. Weil ihr Land unserem und anderen – nicht nur Vietnam – Gleiches antat. Wir wissen wie es ist, wenn Flugzeuge kommen und alles zerstören. Deswegen haben wir Mitgefühl. Aber das verstehen die Amerikaner nicht. Andersrum scheint es nicht zu funktionieren: Ihr Mitgefühl ist nicht gewachsen.

Ist die Fähigkeit zur Selbstkritik gewachsen?

Auch hier gibt es Parallelen zu meinen Erfahrungen in Serbien: Alles wird in Ironie verpackt. Solange man lustig bleibt, darf man den Präsidenten – selbst wenn er ein Diktator ist – sogar im Fernsehen kritisieren. In Amerika gibt es eine große Comedy-Tradition, von Stand-up-Comedy zum 24-h-Comedy-Channel. Man könnte das für subversiv halten, aber dann wird Bush persönlich zur Sendung eingeladen und man lacht zusammen, und plötzlich ist Bush o. k. Nicht der Cleverste, aber menschlich. Plötzlich ist Bush menschlich.