: weiter, zurück
Die 28. Literarische Woche begleitet den Festakt zur Verleihung des 50. Bremer Literaturpreises
Der Krieg ist längst aus. Nachts fallen keine Bomben mehr. Tagsüber geht es immer noch mal auf Hamstertour. Abends versuchen Familien, wieder zusammenfinden. Überall Eisblöcke an Unaussprechlichkeiten. Aber auch Heinrich Schmidt-Barrien. Aber auch Ernst Jünger. Die ersten Strophen des Deutschlandliedes wollen zum Hitlergruß nicht passen. Schwarzmarkt, Währungsreform, das böse weggetuschelte Kapitel mit den Juden. Aber auch Ilse Aichinger, Paul Celan und Ingeborg Bachmann. Aber auch Nierentisch und Petticoats und endlich wieder Schweinebraten.
In unseren Comedy-Zeiten sind die Fünfziger ja nur eine Lachnummer. Für den Bremer Literaturpreis mit den oben genannten Preisträgern war es die Zeit der Gründung und Orientierung in all den Schuld-und-Sühne-Debatten. 50 Jahre später will man sich zur 50. Preisverleihung (26.1., 12 Uhr, Rathaus) den 50er Jahren auf „Umwegen nähern“, wie Tim Schomacker vom Bremer Literaturbüro zum begleitenden Programm der 28. Literarischen Wochen ausführt. Es sei „schroff komponiert“, biete also punktuell einen Fokus auf die Zeit.
Mit Lesungen der Chemnitzerin Angela Krauß (29.1., 20 Uhr, Ambiente) und des West-Berliners Reinhard Jirgl (1.2, 12 Uhr, Zentralbibliothek Schüsselkorb) soll aufgezeigt werden, dass die deutschen Fünfziger nicht nur in langweiliger Gleichförmigkeit dahinflossen, sondern im Osten wie Westen höchst widersprüchliche Entwicklungen durchgestartet wurden. Literarische Erinnerungsarbeit.
Ansonsten heißt es: „Gehen wir weiter, gehen wir zurück“ (Schomacker) und suchen Wechselwirkungen mit anderen Künsten. Zum Beispiel dem Film. Wie die Branche mit der Nachkriegssituation umging, remigrierte Filmschaffende und ästhetische Entwicklungen wieder aufnahm, das versucht das Kino 46 (ab 1.2.) mit einem Film- und Vortragsprogramm zu vermitteln.
Im Neuen Museum Weserburg hängen keine Werke aus den Fünfzigern. Da man dennoch gerne kooperieren wollte, zeigt Hanne Zech mit ihrer Führung (28.1., 18 Uhr) eben die Auswirkung der ersten „documenta“ (1955) auf die Künstler der 60er/70er Jahre auf.
Jürgen Dierking kümmert sich um den Bremer Aspekt des Themas und stellt (24.1., 19.30 Uhr, Buchhandlung Leuwer) die Blumenthaler Autorin Tami Oelfken vor. Mit vorwurfsvollem Bedauern merkte er gestern auf einer Pressekonferenz an, dass Oelfkens „Logbuch aus Zeiten des Krieges“ nicht bei einem Bremer Verlag, sondern in der Schweiz als „Fahrt durch das Chaos“ wieder aufgelegt wurde. Es sei das einzige heute noch erhältliche Werk der pazifistischen Autorin (1888 - 1957), die im Dritten Reich als Lehrerin Berufs- und Publikationsverbot hatte.
Gehen wir zurück, gehen wir weiter – die Fünfziger als Ohrzeit. Holger Rink (Hörspielchef Radio Bremen) erinnert sich an diese Hochzeit des Radios, Hörspiels und den Beginn des „Home-Recording“. Ein Tonbandkoffer habe damals zwar 570 Mark, also in etwa ein Monatsgehalt gekostet, trotzdem sei die Technik umfangreich privat genutzt worden. Nach einem Aufruf bekam Rink über 100 selbst produzierte Bänder als authentisches Material der Zeit zugesandt. Meist Mitschnitte familiärer Situationen: Weihnachten, Hausmusik, Besuch von Oma.
Wie lange hält man da das Zuhören aus, wie viel erzählt das wirklich über die Epoche? Diese Fragen reicht Rink an Hermann Bohlen weiter. Als „Höhepunkt“ der Literarischen Woche (29.1., 20 Uhr, Weserburg) verfälscht dieser mit einem Live-Remix die unverfälschten Töne angehaltener Zeit zu einer O-Ton-Collage – eine wohl genauso schmunzelige bis aberwitzige Komposition, wie sie schon mit akustischen Dokumenten der Sechziger entstanden ist. In unseren Spaßkulturzeiten sind die Fünfziger dann weiterhin – eine Lachnummer? fis
Da das Veranstaltungsheft schwer leserlich layoutet wurde, empfehlen wir als Infoquelle: www.literarische-woche.de