: Es rappelt wieder in der Kiste
Hertha BSC hat alle Karnevals-Eskapaden gut verdaut. Nach dem Kantersieg über 1860 München warnt Coach Huub Stevens seine Mannschaft allerdings davor, in Selbstgefälligkeit zurückzufallen
von MARKUS VÖLKER
Hertha BSC Berlin hat begriffen, wie es läuft. Der FC Bayern München macht es ja seit Jahren vor. Wenn der Laden schlecht geht, wird ordentlich in der Kiste gerappelt. Zoff, Skandälchen und Narreteien sorgen dann für die nötige Aufregung, um müde Kicker zu beleben. Dass sich auf diese Art sogar 6:0-Siege inszenieren lassen, hat Manager Dieter Hoeneß von seinem Bruder Uli gelernt, dem zum Wohle seines Vereins immer mal wieder der Kamm schwillt. Und wenn selbst das nicht hilft, sorgen Kahn und Beckenbauer für das Erregungsniveau, bei dem der FC Bayern in Schwung gerät. Dieter Hoeneß kommt zwar ohne diese Zorneszeichen aus, ist aber nicht weniger als sein Bruder ein abgefeimter Vertreter der Branche.
Es war höchste Zeit zum Handeln. Dem Aus im Uefa-Cup folgten Spiele, die ins Nichts der Tabelle führten. Da kam es nicht ungelegen, dass sich Marcelinho trotz der Vereinsmisere im Sambaschritt durch die Lokale tanzte und die gedankliche Sperrstunde von Dieter Hoeneß glatt durchbrach. Journalisten von BZ und Tagesspiegel, oder sollte man sagen: gedungene Leibwächter des partysüchtigen Brasilianers, begaben sich auf Observierung und konnten dem Manager alsbald von Eskapaden des zwanghaften Hedonisten berichten. Der Trubel war groß. Marcelinho entschuldigte sich reumütig. Das schlechte Gewissen griff auf die gesamte Mannschaft über. Sodann fühlte sich das Team offenbar von der brutalstmöglichen Floskel inspiriert, die richtige Antwort auf dem Platz geben zu müssen.
So weit zum Prolog des 6:0 über 1860 München. Nachher gab Hoeneß zu, dass er berechnend vorgegangen ist. „Ich habe mir überlegt, was ich tue, möglicherweise hat das zu diesem Spiel beigetragen.“ Schon das Training unter der Woche habe gezeigt, „dass eine Reaktion da war“. Ein BZ-Journalist war derart angetan vom Doppelpass zwischen Management und Boulevard, dass er meinte: „Ja, wenn das so ist, müssen wir öfter solche Geschichten machen.“ Die Leser der BZ sollten nicht lang warten auf die nächste Enthüllung. Am Sonntag verriet das Blatt ein düsteres Geheimnis: nämlich wie ein listiger Portugiese die brasilianische Abteilung von Hertha BSC um Geld und Wertgegenstände geprellt habe. Spätestens nach diesem investigativen Meisterstück ist Marcelinho wieder rehabilitiert und die Rückverwandlung vom Prügelknaben zum Zauberfuß vollzogen.
Das Spiel im Olympiastadion vor 32.500 Zuschauern tat ein Übriges. Schon kurz nach Anpfiff trudelte ein Ball von Marcelinhos Fuß ins Tor, doch vergeblich, weil er vom passiven ins aktive Abseits geraten war. Danach spielte Marcelinho nur noch im aktiven Diesseits. Er lenkte und leitete, führte und vollstreckte, zweimal, genauso oft wie Michael Preetz. Und sogar der unter Torfurcht leidende Luizao durfte einmal jubeln. Marcelinho übergab ihm den Ball zum Elfmeter. Ein Geschenk an den Landsmann. Luizao kam dadurch zu seinem ersten Treffer in der Bundesliga. Auch seine Laufwege waren nicht schlecht, lobten die Verantwortlichen. „Er hat sich wunderbar bewegt“, sagte Hoeneß, verschwieg allerdings, dass Ball und Luizao nicht immer in dieselbe Richtung wollten.
Egal, einer Hertha im Spielrausch verzeihen die Zuschauer alles, wohl wissend, dass es sich um einen raren Moment handeln könnte. Von einem „Schlaglicht“ sprach der Manager, bat jedoch, nicht „ins Schwelgen zu verfallen“, denn die Spieler dürften sich jetzt nicht im warmen Licht des Kantersieges sonnen. Vor allem Stevens schaltete mit seinen leuchtschwachen Worten den Spot aus. „Auch für diesen Sieg gibt es nur drei Punkte, wir haben etwas fürs Torverhältnis getan, aber wichtig ist, wo wir nach dem 34. Spieltag stehen.“
Bloß nicht wieder in Selbstgefälligkeit verfallen, davor warnte Stevens. Und damit hat er sicherlich Recht. Falsch lag er hingegen mit der Erkenntnis, dass es „nie positiv“ sei, „wenn so eine Geschichte an die Öffentlichkeit gebracht wird“. Im Gegenteil: Der Karnevalsausflug des Marcelinho hat Hertha BSC einen verspäteten Faschingsnachmittag beschert. Und was für einen.