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Archiv-Artikel

Der Streit ums Tuch lässt Köpfe rauchen

Ob Kirchen, Politik oder Frauenrechtsverbände: Überall wird heftig über Sinn und Unsinn eines Kopftuchverbots diskutiert. Der Streit geht quer durch alle Lager. Als erste Regierungspartei haben die Grünen jetzt ihre Mehrheitsmeinung ermittelt

VON COSIMA SCHMITT

Kein Konsens, nirgends. Deutschland ringt, wettert, diskutiert. Längst hat der Zwist ums Kopftuch drei differierende, weiter gehende Debatten entfacht: Eine Gruppe streitet, ob man per Gesetz den weltanschaulich neutralen Lehrer erzwingen sollte. Andere hoffen auf ein Druckmittel, muslimische Männer zur Gleichbehandlung ihrer Frauen zu bewegen. Wieder andere überlegen, ob es noch zeitgemäß sei, das Christentum als Leitkultur zu protegieren. Die Fronten laufen quer durch die gesellschaftlichen Gruppen.

Die Kirchen: Zwar votieren bei Katholiken wie Evangelen die offiziellen Organe für Kopftuchverbote. Doch eine unangefochtene Mehrheitsmeinung ist das nicht. Bischof Wolfgang Huber, Ratsvorsitzender und oberster Repräsentant der Evangelischen Kirche in Deutschland, will das Kopftuch als „antidemokratisches Zeichen“ verboten wissen, das man nicht mit dem Kreuz gleichstellen dürfe. Ebenso energisch aber engagieren sich die Bischöfinnen von Hamburg und Lübeck, Maria Jepsen und Bärbel Wartenberg-Potter, gegen einen gesetzlichen Zwang.

Das Zentralkomitee der Katholiken möchte zwar, so eine Stellungnahme vom 7. Januar, das Kopftuch verboten sehen. Die momentane Diskussionfreude sieht es dennoch ambivalent. Es fürchtet, der Gesetzgeber könnte sämtliche religiösen Symbole aus den Schulklassen verbannen – und so eine „säkulare Kultur“ und eine „religionslose Gesellschaft“ etablieren.

Die Parteien:

Als erste Regierungsfraktion versuchten vergangene Woche die Grünen, eine Position zu finden. Eine deutliche Mehrheit sprach sich gegen ein Verbot des Kopftuchs aus. Doch prominente Grüne wie Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer sehen das anders: „Spätestens seit Chomeini ist das Kopftuch ein politisches Symbol der islamischen Ordnungsvorstellung, die die Frau dem Mann unterordnet. Diese politische Demonstration hat an unseren Schulen nichts zu suchen“. Auch Irmingard Schewe-Gerigk, frauenpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, sähe es lieber, wenn sich Staatsdienerinnen „mit dezenten Symbolen begnügen, um ihren Glauben auszudrücken“.

Die Frauenrechtlerinnen:

Auch unter den gesellschaftlich engagierten Frauen zeichnet sich noch keine Mehrheitsposition ab. Ironisch „Becklash“ nennt die Feministin Halina Bendkowski ihren „Offenen Brief“, den in den letzten Wochen 90 Frauen – unter ihnen Lehrerinnen, Wissenschaftlerinnen und Terre des Femmes – unterzeichneten: eine Gegenbewegung zur Initiative „Wider eine Lex Kopftuch“, mit der Marieluise Beck, die grüne Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, um einen ähnlichen Unterstützerkreis rang. Beck band sich ein Tuch ums Haar, posierte am Brandenburger Tor, und 70 teils prominente Frauen aus Gesellschaft und Medien unterzeichneten eine Erklärung – gegen ein pauschales Verbot, für das Recht, selbst zu entscheiden.

Bendkowski und ihre AnhängerInnen streiten trotz des publicityträchtigen Slogans inhaltlich um weit mehr als einen Beitrag zur Kleidernorm: Sie wollen ein Ende der Benachteiligung der muslimischen Frau. Dabei setzen sie auf harsche Methoden: Wer Frauen diskriminiert, verliert sein Aufenthaltsrecht. Bleiben darf nur, wer den Gleichberechtigungsartikel im Grundgesetz anerkennt und auch danach lebt. Wie das konkret aussehen könnte, erklärt der Brief nicht. Mehrere Fragen bleiben offen. Ist es schon ein Abschiebegrund, wenn eine Mutter ihre Tochter zwingt, das Kopftuch umzubinden? Hilft es einer unterdrückten Frau, wenn der Mann und Ernährer des Landes verwiesen wird? Liefert man so nicht jenen Vorwände, die ohnehin lieber eine deutsche, christliche Einheitskultur hätten? In einer Hinsicht immerhin liegt der „Offene Brief“ im Trend: Wer über das Kopftuch streitet, tritt eine Lawine der Themen und Grundsatzdebatten los.