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Archiv-Artikel

Ausländer gleich Abschiebung

Die Behörden schieben zu viele straffällige Migranten ab, einfach weil sie Ausländer sind, wird seit langem kritisiert. Dem hat sich nun der Europäische Gerichtshof angeschlossen

Unter den 3.347 Männern und Frauen, die im Jahr 2002 aus Berlin abgeschoben wurden, stellen diejenigen, die direkt aus der Strafhaft zur Ausreise gezwungen wurden, eine Minderheit dar. Laut Statistiken der Innenverwaltung wurden insgesamt 205 Migranten und 7 Asylbewerber in die Herkunftsländer zurückgeflogen. Doch diese Zahlen geben nur ein unvollständiges Bild wieder. Denn vor der zwangsweisen Abschiebung steht die so genannte freiwillige Ausreise von straffälligen Migranten. Verlässliche Zahlen gibt es in dieser Kategorie nur für das Jahr 2001: 1.355 freiwillige Ausreisen wurden damals registriert.

In den Paragrafen 45 bis 48 des Ausländergesetzes ist festgeschrieben, wer wann Deutschland verlassen muss. So sind beispielsweise Drogenabhängigkeit oder längerfristige Obdachlosigkeit ein möglicher Ausweisungsgrund, während Verurteilungen mit einem Mindeststrafmaß von zwei Jahren für Drogenhandel und Landfriedensbruch und generell Verurteilungen mit einem Mindeststrafmaß von drei Jahren sowohl für Jugendliche als auch Erwachsene in fast jedem Fall eine Ausweisung am Ende der Strafhaft nach sich ziehen. Zwar schreibt der Gesetzgeber den Behörden vor, die familiären Bindungen der Betroffenen wie Ehe und Kinder zu berücksichtigen. Doch die Tatsache, „dass viele Betroffene ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland und nicht ihren Herkunftsländern haben“, wie Rechtsanwältin Andrea Würdinger vom Bundesvorstand des Republikanischen Anwälte- und Anwältinnenverein (RAV) betont, werde oft nicht ausreichend gewürdigt. Sie kritisiert, „dass allein die Ausländereigenschaft eines Menschen die zusätzliche Sanktion der Abschiebung begründet“. Der Grünen-Fraktionsvorsitzende Volker Ratzmann verweist in diesem Zusammenhang auf eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs, der vor kurzem über ein Wiedereinreiseverbot für einen aus Deutschland abgeschobenen straffälligen Migranten entschieden hat. Die Richter kritisierten einerseits die Doppelbestrafung, die das Wiedereinreiseverbot beinhaltet. Betroffene, deren Lebensmittelpunkt Deutschland sei, müssten eine Chance haben, diesen Lebensmittelpunkt nach der Haftentlassung wieder hier zu finden. „Diese Rechtsauffassung knüpft also letztendlich an dem Gedanken der Resozialisierung in die Gesellschaft an, aus der heraus ein Straftäter kommt“, sagt Ratzmann. Doch damit ist es in den Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichten oft nicht weit her, sagt Strafverteidiger Martin Rubbert. „Selbst in den Fällen, in denen den Betroffenen günstige Sozialprognosen bescheinigt und sie vorzeitig auf Bewährung entlassen werden, gehen die Verwaltungsgerichte häufig von einer Wiederholungsgefahr aus, die eine Ausweisung rechtfertigen soll.“ HEIKE KLEFFNER