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Archiv-Artikel

Armutsgürtel quer durch Mitte

Im Großbezirk Mitte haben sich von Tiergarten über Moabit bis Wedding Sozialhilfemilieus etabliert. Besonders betroffen: Migranten und Frauen. 60 Prozent nichtdeutscher Vorschulkids brauchen Stütze

VON RICHARD ROTHER

Selbst der Parkscheinautomat lässt die Armut erahnen: Kostet die Stunde parken vor dem Bürgeramt Mitte an der Karl-Marx-Allee einen Euro, darf man beim Weddinger Bürgeramt das Auto eine Stunde lang umsonst abstellen – die Weddinger haben kein Geld und müssen an die Einkaufsmeile des Kiezes gelockt werden. Die Sozialhilfe-Statistik des Großbezirks Mitte bestätigt dies: Während der Altbezirk Mitte relativ stabil ist, grassiert in den Stadtteilen Wedding und Tiergarten die Armut.

Im Großbezirk Mitte haben sich dabei regelrechte Sozialhilfe-Milieus etabliert. Kinder aus Sozialhilfe beziehenden Familien haben wegen mangelnder Bildung kaum eine Chance, aus der Armut herauszukommen. Die Folge: Ein regelrechter Armutsgürtel erstreckt sich um das Regierungsviertel vom südlichen Tiergarten über Moabit bis zur Brunnenstraße im südlichen Wedding. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Instituts für angewandte Demographie (Ifad), die Ulrike Hagemeister, Autorin der Untersuchung, gestern vorstellte.

Demnach konzentriert sich die Armut in Mitte in den ehemaligen Westbezirken: Während im Altbezirk Mitte der Stadt nur fünf Prozent der Bevölkerung von Sozialhilfe leben, sind es im Wedding rund 14, in Tiergarten 13 Prozent. Erschreckend: Überall ist der Anteil der Sozialhilfe beziehenden Kinder überdurchschnittlich. Besonders prekär ist die Situation der nichtdeutschen Bevölkerung. Sie stellen nur 27 Prozent der Gesamtbevölkerung, aber 44 Prozent der Sozialhilfebezieher. Sechs von zehn nichtdeutschen Kindern unter 6 Jahren leben von Sozialhilfe. Auch in allen anderen Altersgruppen liegt der Anteil der ausländischen Sozialhilfe-Bezieher über dem der deutschen. Erschreckend die Altersarmut der Migranten: Über 20 Prozent der ausländischen Rentner erhalten Stütze, weil sie nur geringere Rentenansprüche aufbauen konnten. Bei deutschen Rentnern sind es nur vier Prozent.

In keinem anderen Bezirk sind Menschen so lange von Sozialhilfe abhängig wie in Mitte: Im Durchschnitt beträgt die Verweildauer in der Sozialhilfedauer 3,5 Jahre. Besonders in Wedding und Tiergarten leben „offensichtlich immer mehr Menschen, deren Biografie von der Kindheit an bis ins Rentenalter vom Sozialhilfe-Empfang geprägt ist“, so das Ifad.

Ifad-Geschäftsführer Harald Michel macht zwei Sozialhilfe-Milieus aus: ein deutsches und ein ausländisches. Bei Deutschen seien häufig allein erziehende Mütter betroffen, aber auch Männer zwischen 40 und 60, die eine Trennung von der Partnerin hinter sich haben und arbeitslos sind. Bei Nichtdeutschen sei das niedrige Bildungsniveau Hauptgrund für Armut.