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crime sceneTempo, Tempo!

Es geht hier um Autos. Um einen schwarzen Ford Sierra. Um einen Ford Mondeo Turnier. Um einen BMW 325 i, zugelassen auf die Münchener Polizei, einen Land Cruiser mit großem Radstand und einen Mazda MX-6. Und dann ist da noch dieser Golf C. 93 PS, leichter Unfallschaden, 117.000 km auf dem Tacho. Mit dem Golf hat alles angefangen. Karl soll ihn von seinem Vater zum 22. Geburtstag bekommen. Doch es passt ihm nicht, dass sein Vater ihm auch noch die Autos aussucht. Also entscheidet er sich für den Mazda. 3.000 Euro. Viel Geld für einen Gebrauchtwagen, der längst in die Schrottpresse gehört. Aber das ist nicht das Problem. Das Problem sind die 15 Kilo Heroin, die im Kofferraum liegen und die in den nächsten 48 Stunden zwischen München und Düsseldorf eine Spur der Verwüstung nach sich ziehen werden. Der Mondeo, der Land Cruiser und ein Haufen Streifenwagen werden dabei auf der Strecke bleiben.

Deutsche Krimis können jetzt also auch Tempo machen. „Bundesautobahn“ von Johannes W. Betz ist eine angemessen brutale Roadnovel mit ausufernden Auffahrunfällen, Hubschraubereinsätzen und Schießereien an Raststätten. Im Mittelpunkt steht Karl, Medizinstudent im zweiten Semester und vom Leben bereits mehr als gelangweilt. Er hat nicht nur einen Gebrauchtwagen voller Drogen gekauft, sondern auch Karoline einsteigen lassen, die gerade eine Bank überfallen hat. Schusswechsel inklusive. Der Mazda wird zur Fahndung ausgeschrieben, und die beiden werden auf der A 3 von einem Dealer und der Polizei gejagt. „Die Autobahn hat ihre eigene Natur. Hier gilt das Recht des Stärkeren“, schnarrt der Einsatzleiter und lehnt weitere Luftunterstützung vorerst ab: „Das hier ist Deutschland und nicht Vietnam.“ Ein Desaster wird es trotzdem.

Johannes W. Betz ist eigentlich Drehbuchautor und hat unter anderem das Skript zu dem Mauerfilm „Der Tunnel“ geschrieben. Er versteht sich auf fette Bilder und Action im Breitwandformat, und er kennt sich aus mit einem Genre, in dem Männer „einen tiefen, echten Zug“ aus einer Zigarette nehmen, bevor sie knappe Anweisungen in ein Funkgerät brüllen. „Bundesautobahn“ ist Kino im Kopf. Sicher, das hat auch Nachteile.

Es gibt Stellen, an denen der Roman viel zu sehr ein Drehbuch ist. Trotz schneller Dialoge und rasanter Schnitte bleibt die Handlung manchmal in endlosen, tempogedrosselten Szenenbeschreibungen stecken. Zweihundert Seiten statt vierhundert hätten es auch getan. „Scheißegal, es wird schon geh’n.“ Wir müssen weiterlesen, denn Betz jagt uns in „Bundesautobahn“ durch eine nur allzu bekannte Landschaft. In diesem Buch führen die asphaltierten Fernstraßen direkt in die dunklen Abgründe der deutschen Seele. Keine Staus, keine Umleitungen. Das hier ist ein unverstellter Blick in die chromglänzende Hölle der Temposünder und testosterongesteuerten Testwagenfahrer, eine unheimliche Reise durch das Land der Rechtsüberholer und Feierabenddrängler, in deren Handschuhfächern neben dem ADAC-Mitgliedsausweis ein Revolver liegt. Zur Not muss man sein Recht auf einen Parkplatz mit Gewalt verteidigen. Das hier ist Deutschland. Vietnam war gestern. KOLJA MENSING

Johannes W. Betz: „Bundesautobahn“. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2003, Paperback, 409 Seiten, 12 Euro

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