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Archiv-Artikel

Leise Nervosität am dritten Tag

Wenn Polizeipanzer Jubel auslösen: Unter Eisgewittern in Amman

Alle anderen Einwohner haben schon seit Wochen Lebensmittel gehortet

Soll ich es beschreiben? Oder beschweigen? Ich könnte den Kamin anwerfen, verträumt in die Flammen stieren und genüsslich einen Tee mit Rum schlürfen … Klar könnte ich. Aber Tradition verpflichtet. Immerhin hat sich bisher jeder – aber auch wirklich jeder –, den es als Korrespondent in die jordanische Hauptstadt Amman verschlug, mindestens einmal dieses Themas angenommen.

Nun also auch ich: Da einige Viertel Ammans auf einer Höhe von gut tausend Metern liegen, entwickelt sich in der Stadt das Wetter bisweilen anders, als man es in Europa erwartet: Manchmal wird es in den Bergen Ammans – statt sommerwüstenwarm – winter-alpinesk-dolomitisch-kitzbülisch kalt. Und alle Jahre wieder fällt sogar Schnee. Und manchmal fällt dann so viel Schnee wie in den vergangenen Tagen. Nach einem echten Schneegewitter türmte sich vor unserer Haustür das Weiß mindestens einen halben Meter hoch; einige Verwehungen waren noch höher.

Das alles wäre nicht weiter aufregend, wenn Amman die Hauptstadt irgendeiner Alpenrepublik wäre oder des Harzes oder zumindest des Sauerlandes. Dann gäbe es in Amman Schneeketten, Räumfahrzeuge, Rodel-spaß und Après-Ski. In Jordanien indes, wie gesagt, fällt aber eben lediglich alle Jubeljahre richtig viel Schnee. Und daher lohnt es nicht, seine Gedanken in diese Richtung verreisen zu lassen. Sobald die Gedanken nämlich nur vor die Haustür treten, vereisen sie schlagartig; sie frieren ein wie das ganze Leben in des Jordanlands Hauptstadt, wenn sie heftig von Schnee befallen wird. Plötzlich geht da nichts mehr, aber auch rein gar nichts. Und es fährt auch nichts mehr – und wer es dennoch versucht, der scheitert kläglich.

Lustig ist das nur am ersten Tag. Dann ruft man Freunde und Bekannte an, lacht durchs Telefon: „Hahaha, seid ihr auch eingeschnitten?“, steckt Schneemännern und Schneefrauen Karotten ins Gesicht. Vergnogen beobachtet man vom eisblumigen Fenster aus, wie die arabischen Massen durch die Straßen marodieren und sich heftige Schneeballschlachten liefern. Später ein wenig mit der Süßen kuscheln und pöngeln. Der weiße Ton der Regression.

Schon am zweiten Tag wird es langweilig. Die Zeitungen kommen nicht; die zwei letzten neuen Bücher sind durch; das Fernsehen funktioniert nicht, weil die Satellitenschüssel auch zugeschneit ist; es findet sich nur mehr ein Liter Frischmilch im Kühlschrank; Handschuhe und Lederstiefel wollen nicht mehr so richtig trocknen, das Haus wird einem zu eng.

Am dritten Tag dann macht sich eine leise Nervosität breit: Jetzt ist höchstens noch ein Liter Heizöl im Tank; die Telefonleitungen sind auch vereist. Der Polizeipanzer, der die Straßen mäßig freirabauzt, löst Jubel aus, zeigt er doch, dass die staatlichen Autoritäten noch in der Stadt sind. Und bei den Schneemännern und Schneefrauen muss eine brutale Nasenamputation vorgenommen werden, um einen Hauch von Karottengeschmack in die klägliche Wassersuppe zu bringen.

So können sich die Tage im verschneiten Amman dahinziehen; 1992 oder 1993 war es, da musste nach ziemlich genau einer Woche Brot mit Panzern ausgeliefert werden, weil die ersten Ammannesinnen und Ammannesen zu verhungern drohten.

Meine Tochter, die in Amman zum ersten Mal in ihrem Leben Schnee gesehen hat, muss das alles von Anfang an geahnt haben. Am besagten ersten Schneetag ging ich mit ihr vor die Tür, um ihr die Pracht zu zeigen und ihr ein Schneebaby zu bauen. Doch sie begann sofort zu heulen, nachdem sie einmal in die Vollen gegriffen hatte. Ganz Laura von Arabien, braucht sie offenbar heiße, nicht weiße Weiten. Und jetzt – da das Heizöl ganz alle ist – gehe ich mit einem Rumtee vor den Kamin. Das Militär wird sich dieses Mal übrigens nach einer Woche mit Brot nur zu mir bemühen müssen. Alle anderen Einwohner Ammans haben schon seit Wochen Lebensmittel gehortet. Nicht wegen der Wettervorhersagen, sondern wegen der Kriegsprognosen für die Region. Ich habe jetzt kalte Füße; die Jordanier hatten sie vorher und haben dafür nun volle Mägen. BJÖRN BLASCHKE