Das verrottete Ölparadies

von REINER METZGER

Der Irak ist unbestritten das Ölparadies auf Erden. Das Öl des Irak ist von hoher Qualität und quillt leicht zugänglich aus den Bohrlöchern. Selbst die benachbarten Opec-Staaten können mit den Förderkosten des Irak nicht mithalten: Nur 50 bis 75 Cent laufende Kosten pro Barrel rechnet der ehemalige irakische Ölfunktionär und Ex-Opec-Generalsekretär Fadhil Chalabi. Selbst die geologisch ebenfalls bevorzugten Wüstenstaaten Saudi-Arabien und Kuwait kommen da schon auf 2,50 Dollar pro 159 Liter, so Chalabi, heute Direktor beim britischen Centre for Global Energy Studies (www.cges.co.uk). Die Vorräte in der Nordsee, in Sibirien oder gar die riesigen Ölschiefervorkommen Kanadas kosten 10 bis 30 Dollar pro Barrel.

Die Früchte des Paradieses

Solche Kostenvorteile sind nicht einfach nur Zahlen. Sie machen die Regierungen am Persischen Golf samt ihren staatseigenen Vorräten zu den begehrtesten Investitionszielen der Welt. Allen voran der Irak, der weite Teile seines Landes überhaupt noch nicht auf weitere Ölquellen untersucht hat. Wer die heutigen und künftigen irakischen Ölquellen zu günstigen Konditionen vermarkten darf, hat die höchsten Gewinnmargen und übersteht jede Wirtschaftskrise, jeden Preiskampf besser als die Konkurrenten – selbst wenn der Irak immer nur ein paar Prozent der Weltölproduktion liefern wird.

So weit die Versprechen von den gebratenen Tauben im Schlaraffenland. Doch leider muss sich auch der geneigte Investor den Zugang zum Paradies erst erarbeiten. Denn die Ölanlagen des Irak sind in einem miserablen Zustand. Nach der vollständigen Verstaatlichung 1972 baute der damals prosperierende Irak seine Schlüsselindustrie aus. Die nachgewiesenen Reserven stiegen laut Opec-Angaben auf 112 Milliarden Barrel, die maximale Förderung erreichte knapp vier Millionen Fass täglich. Ab 1980 jedoch wurde in Bohrtürme, Pipelines oder Raffinerien nur das Notwendigste oder noch weniger investiert: Saddam Hussein führte erst einen achtjährigen Krieg gegen den Iran, überrannte 1990 Kuwait samt nachfolgender Strafaktion der UNO und hat seitdem durch das UN-Embargo nur wenig Einnahmen für seine Ölindustrie übrig.

„In einem jammervollen Zustand“ sei die Industrie im Irak, so UN-Generalsekretär Kofi Annan. Hoffnungen auf den lukrativen Wiederaufbau machten sich vor allem russische Konzerne. Schon die Sowjetunion lieferte Ölfördertechnik an den Irak. Russische Konzerne wie Lukoil sahen sich zu Recht als ideal qualifiziert für die Aufgaben im Irak – haben sie doch Erfahrung in der Modernisierung von Sowjetanlagen und arbeiten zu russischen Löhnen. Lukoil hat denn auch seit 1997 einen Vertrag für das Ölfeld West Qurna 2 in der Tasche. Der wurde von der irakischen Regierung jedoch Anfang Februar gekündigt. Das Regime meinte wohl, dass sich Russland nicht entschieden genug gegen die Invasionspläne der USA stemmte.

Zwei Wege ins Paradies

Auch Konzerne aus Frankreich, Italien, Spanien und China waren laut Ölexperten schon in konkreten Gesprächen samt Datenaustausch zu einzelnen Projekten – was das Engagement gerade dieser Länder in der Irakfrage auch in einem wirtschaftlichen Licht erscheinen lässt. Hier gibt es offenbar zwei entgegengesetzte Strategien: Mit den USA in den Krieg marschieren und hinterher am Sieg teilhaben. Oder Kontakte mit dem Regime Saddams pflegen und hoffen, dass die zuständigen irakischen Ölmanager den Zusammenbruch in ihren Ämtern überstehen.

Vor allem Frankreich und Russland hoffen dabei noch auf ihre alten Darlehen. Für die Lieferungen von Industrieanlagen und Waffen in den vergangenen Jahrzehnten schuldet der Irak Russland noch geschätzte acht Milliarden, Frankreich ähnlich viel. Und die müssen zumindest laut internationalen Verträgen auch bezahlt werden, egal wer in Bagdad regiert. Mit diesem Druckmittel hoffen die beiden Länder langfristig ein Mitspracherecht beim Verteilen der potenziellen Ölmilliarden zu bekommen.

Egal wer schließlich den Zuschlag für die irakischen Ölfelder bekommt – prall gefüllte Investitionskassen allein werden nicht helfen. Der Wiederaufbau kann länger dauern als etwa die jüngst vom britischen Ölkonzern BP Amoco geschätzten fünf Jahre. Ölfelder sind komplizierte geologische Kompositionen. Werden sie wie im Fall des Irak aus Geldmangel unsachgemäß gemanagt, kann ein nicht zu reparierender Schaden entstehen. Zwar staunten Experten der UNO, als sie im Jahr 2000 die irakische Ölindustrie prüften: Mit für die Ölbranche lächerlichen 1,2 Milliarden Dollar hatte das Land seine Ölproduktion von 2,2 Millionen Barrel am Tag im März 1998 auf 3 Millionen im November 1999 gehoben. Allerdings warnten die UN-Experten vor den Folgen des Geldmangels. So fiel etwa die Produktion im wichtigsten Bohrgebiet des Irak, dem 1927 entdeckten Feld im kurdischen Kirkuk, innerhalb von zehn Jahren um 40 Prozent. Hier schätzen die ausländischen Experten, dass wegen des schlechten Ölfeld-Managements samt altertümlicher Fördermethoden insgesamt nur ein Fünftel des gesamten Erdöls ans Tageslicht gebracht werden kann. In anderen Ländern liegt die Rate zwei- oder dreimal höher.

Es gibt also viel zu tun für die Ölkonzerne. Branchenexperten wie jene von der texanischen Rice University rechnen damit, dass mit einem Investment von „einigen zehn“ Milliarden Dollar die Förderung des Irak von 2,5 auf 6 Millionen Barrel pro Tag gehoben werden kann. Der Irak wäre damit hinter Saudi-Arabien der zweitgrößte Ölexporteur der Welt. Zum Vergleich: Die Internationale Energie Agentur rechnet bis Ende des Jahrzehnts mit einem Weltverbrauch von 89 Millionen Barrel täglich, derzeit sind es knapp 77 Millionen (www.iea. org).

Spannend wird das Gerangel nach dem Abtritt Saddams, wer denn nun die lukrativen Aufträge erhält. Nach den Erfahrungen aus dem Golfkrieg von 1991 sind es US-Firmen. Obwohl damals eine breite Allianz der westlichen Länder die USA und die Briten unterstützt hatten, fielen die großen Brocken beim Wiederaufbau Kuwaits an US-Firmen. Also sind diesmal ganz vorne im Rennen die Ölkonzerne wie Exxon Mobil sowie diverse texanische Ausrüster. Für die britisch-amerikanische BP Amoco ist es eine historische Rückkehr: Ihre Mitgründerfirma Anglo-Persian entdeckte das Kirkuk-Feld. BP litt auch besonders unter der Verstaatlichung ihrer wichtigsten Förderanlagen durch den Irak. Die Ölriesen sollen schon im Oktober mit der Opposition im Exil, dem Irakischen Nationalkongress INC, verhandelt haben.

Ganz anders sieht allerdings die Bilanz von Seiten der Iraker aus. Ihnen geht es nicht um ein paar Prozent Rendite, sondern ums Überleben. Sie hängen derzeit zu 60 Prozent von den Lebensmittelimporten des „Oil for Food“-Programms der UNO ab. Selbst wenn das Regime von Saddams Baath-Partei schnell und ohne allzu große Massaker gestürzt werden könnte – das Land ist am Ende. Dabei war der Irak ein Wirtschaftsmusterland unter den arabischen Staaten. Heute ist das Ölland auch finanziell ruiniert. Zu Beginn des Irankrieges 1980 konnte die Regierung von Saddam Hussein auf Währungsreserven von 35 Milliarden Dollar bauen. Jetzt hingegen ist das Land im Ausland verschuldet, mit 65 bis gut 80 Milliarden Dollar, schätzt das US-Außenministerium.

William Nordhaus, mit seinen Berechnungen von Kriegskosten viel zitierter Wirtschaftsforscher an der US-Universität Yale, sieht die irakische Regierung gar als einen einsamen Rekordhalter: Niemals in der jüngeren Geschichte wäre ein Land wirtschaftlich dermaßen ruiniert worden. Seit 1980 hätten Saddams Kriege und die Sanktionen den Irak zwanzig Jahre seines Bruttoinlandsprodukts (BIP) gekostet. Der Yale-Professor illustriert mit ein paar Beispielen, was das im Vergleich bedeutet. So hat die USA der Zweite Weltkrieg in Preisen des Jahres 2002 insgesamt „nur“ knapp drei Billionen Dollar gekostet, das 1,3-fache des jährlichen Bruttoinlandsprodukts, der Golfkrieg II kostete die USA ein Prozent des Jahres-BIP (www.econ.yale.edu/~nordhaus/iraq.pdf).

Der Preis fürs Paradies

Doch auch die industrialisierte Welt einschießlich der USA zahlt die Zeche für die Irakkrise über höhere Ölpreise mit – wenn auch in einer völlig anderen Größenordnung als die irakische Bevölkerung. Die derzeitigen hohen Ölpreise von maximal 40 Dollar pro Barrel treffen die Weltwirtschaft genau zwischen Hoffen und Bangen. Der Ölpreisschock bremst das Wachstum und verhindert so, dass die Konjunktur an Schwung gewinnt. Steigt der Ölpreis um zehn Dollar, so schrumpft dadurch die Wirtschaftsleistung um ein knappes Prozent, schätzt der Internationale Währungsfonds. Für ein Land wie Deutschland mit seinem derzeitigen Wachstum von einem halben Prozent bedeutet dieses Ölprozent den Unterschied zwischen Business as usual und einer veritablenWirtschaftkrise.