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Archiv-Artikel

„Ein Rückschritt für den inneren Frieden“

Berliner Serben bestürzt über den Mord an Zoran Djindjić. Orthodoxe Kirche plant für Freitag Gedenkgottesdienst

In der Berliner Außenstelle der jugoslawischen Botschaft liefen gestern Nachmittag die Telefone heiß. Doch während die Nachricht vom Attentat auf Ministerpräsident Zoran Djindjić inzwischen in allen Medien präsent war, konnten die serbischen Diplomaten ihre besorgten Landsleute nur mit immer derselben Auskunft vertrösten: „Wir warten noch auf die offizielle Bestätigung aus Belgrad, bevor wir uns äußern“, so eine Sprecherin.

Der Schock über den Mord schlug auch in Berlin hohe emotionale Wellen. Die Bestürzung vieler der hier lebenden Serben bekam man auch in der serbisch-orthodoxen Gemeinde in Mitte zu spüren. „Ich hätte niemals damit gerechnet“, sagt Pfarrer Veljko Gacic, „dass so etwas gerade jetzt passiert, wo sich die Dinge in Serbien endlich etwas stabilisiert haben.“ Obwohl Djindjić der Kirche kritisch gegenübergestanden habe, will Gacic am Freitag im Gottesdienst des Ermordeten gedenken lassen.

Für andere Berliner Serben kam der Anschlag weniger überraschend. „Djindjić hatte sich schon seit längerem mit der jugoslawischen Mafia angelegt“, berichtet der serbische Journalist Dusan Reljic, der in Berlin als Korrespondent der Zeitschrift Vreme arbeitet. Die Regierung habe versucht, die organisierte Kriminalität stärker zu bekämpfen. „Wirklich gelungen ist es auch Djindjić allerdings nicht – und dieser Umstand ist ihm jetzt zum Verhängnis geworden.“ Attentatsversuche auf Politiker seien in Belgrad nichts völlig Außergewöhnliches. „Dass seine Feinde so erfolgreich sein werden, hätte ich aber nicht gedacht“, so Reljic.

„Der Geist des Nationalismus ist momentan stark genug, um Menschen zu finden, die ein solches Verbrechen begehen. Das sollte man nicht unterschätzen“, sagt Bosiljka Schedlich vom Süd-Ost-Europa Kultur-Verein. Sie ist entsetzt über den Mord, schließt aber weitere Gewalttaten nicht aus. „Der Anschlag war ein absoluter Rückschritt für den Prozess der Annäherung an Europa und für den inneren politischen Frieden“, sagt die Leiterin des Kulturzentrums. Denn auch die Nachfolgesituation ist nach dem Tod des Hoffnungsträgers schwierig. Die Demokratische Partei habe zwar die Mehrheit, doch wer Djindjić nachfolgen könne und wie sich das Regierungsbündnis DOS weiterentwickelt, dafür sei eine Einschätzung noch zu früh, sagt Dusan Reljic: „Bis hin zu vorgezogenen Neuwahlen ist alles möglich.“ CHRISTOPH RASCH

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