: Lenin rettet New Yorck
Die Filme „Good Bye, Lenin!“ und „About Schmidt“ sorgen für so volle Kinos wie selten. Das freut besonders die Kinos der Yorck-Gruppe. Denn Filmkunstbühnen müssen derzeit die Gürtel enger schnallen. Es tobt die Konkurrenz unter den Schwächsten
von ROLF LAUTENSCHLÄGER
Es ist schon verrückt in diesen Tagen nach der Berlinale. Da hängt im Kino ein weißer Zettel über der Programm- und Preisliste. „Vorstellung ausverkauft“ steht drauf. Und der Abend ist gelaufen. Klar, man kann noch in anderen Lichtspielhäusern versuchen, den Film zu sehen. Doch wer hat schon das neueste Kinoprogramm dabei, ein schnelles Auto oder Lust, quer durch die Stadt zu kurven, das Risiko inbegriffen, auch in Neukölln, Friedrichshain oder Schöneberg den weißen Zettel anzutreffen.
Was den immer etwas zu späten Besucher ärgert, freut die Mitarbeiter in den Kreuzberger Kinos New Yorck und Yorck. Beckers „Good Bye, Lenin!“ und „About Schmidt“ mit Jack Nicholson ziehen die Leute in die 20-Uhr-Vorstellungen – besonders am so genannten blauen Montag und an den darauf folgenden Kinotagen, wenn der sonst 7 oder 8 Euro teure Eintritt nur die Hälfte kostet oder ermäßigt (5,50 Euro) ist. Das Filmfestival hat animiert, die Filmfans haben Appetit auf Stars, großes Kino und gute Geschichten wie „Chicago“, „Gangs of New York“ oder „Frida“.
Und nicht nur in Kreuzberg: Auch wenn nicht immer ausverkauft ist, füllen zur Hauptvorstellungszeit die Starts cineastischer und anspruchsvoll-populärer Streifen auch die anderen Filmtheater der Yorck-Gruppe: den Delphi-Filmpalast, das Babylon und Odeon oder das International, das Filmtheater am Friedrichshain und die Passage.
Trotz des augenscheinlichen Andrangs rumort es bei der Yorck-Gruppe derzeit. Mehrere Mitarbeiter mussten entlassen werden, die Abspielzahlen wurden verringert, Sonderveranstaltungen wie der „MonGay“ im International stehen auf dem Index, und Werbeeinnahmen sind weggebrochen.
Rund 200 Mitarbeiter beschäftigt das Unternehmen noch. Auch wenn keine der über 20 Leinwände dunkel bleiben wird oder ein Haus gar geschlossen werden soll, „ist es eng und bleibt es eng“, meint ein Angehöriger des Betriebsrats. Kassenschlager wie „Good Bye, Lenin!“ werden dann schon mal als „Retter“ bezeichnet, aus dem die Belegschaft „Optimismus für die Zukunft“ schöpft. Und im Yorcker, dem Magazin der Kino-Gruppe von Hans-Georg Kloster, wird vor „mageren Wochen“ und Sommerlöchern gewarnt, die nach den Tagen des „Publikumsandrangs“ kommen könnten.
Kloster, der seit Jahren in den Kinos außergewöhnliche Programme, Sondervorführungen und Kinder- und Schulfilme präsentiert, mit der Reihe „Play it again“ Klassiker und Hits wiederauflegt und mit dem „MonGay“ Filme samt Party für Schwule veranstaltet, spürt wie die kleinen Off-Kinos und selbst einige Multiplexe merklich die Zeiten der Krise – zumal wenn spezifische Dokumentarfilme wie etwa „Sein und Haben“ unter den Erwartungen bleiben oder die Publikumszahlen insgesamt nicht anziehen. Bei den Blockbusters, die auch am Potsdamer Platz, den Multiplexen am Alexanderplatz oder in der City West gespielt werden, erzielen die Yorck-Gruppe-Kinos einen durchschnittlichen Erfolg, wie ein Vorführer erzählt. Obwohl immer nach „Nischen“ und einem „neuen Publikum“ Ausschau gehalten wird, graben die großen Häuser mit ihren jungen Besuchern einen wesentlichen Marktanteil ab.
Seit den Ausfällen in der Werbebranche, insbesondere in der Tabakindustrie, schlägt bei Programmkinos wie denen der Yorck-Gruppe das Defizit besonders durch. Hinzu kommen hohe Mieten, nötige Investitionen, Personal- und exorbitante Verleihkosten in Deutschland und so genannte Half-Price-Days der großen Häuser, die den Wettbewerb um den Kinomarkt zusätzlich verschärfen, sagt ein Betriebsrat. Schließlich drehen Zuschauer heute mehr als früher den Euro zweimal um – etwa Studenten, die einen wesentlichen Besucheranteil der Yorck-Kinos ausmachten und „tendenziell wohl immer weniger Geld in der Tasche haben“.
Hauptmanko bleibt in Berlin jedoch die enorme Kinodichte. Ungeachtet der beinahe gleich bleibenden Zuschauerzahlen in den vergangenen Jahren von rund 12 Millionen in den Filmtheatern hat mit dem Bau der Multiplexe am Potsdamer Platz, am Alexanderplatz, in Hellersdorf, Prenzlauer Berg, Neukölln und Friedrichshain ein ruinöses „Overscreening“ insbesondere im Ostberlin eingesetzt, das Kinoschließungen zur Folge hatte. Nicht mithalten konnten insbesondere die Kinos in der City West. Die Filmbühne Wien, das Mamorhaus, der Gloria-Palast und jüngst das wunderschöne Astor wurden geschlossen. Für die kleinen Off-Filmkunsttheater, die mit wenig Geld und Personal teils bis an den Rand der Selbstausbeutung wirtschaften, bedeutet der Berliner Leinwandwald von mehreren hundert Abspielstätten nicht nur ständige Bedrohung, sondern die Konkurrenz der Schwächsten.
Dass heute selbst Multiplexe wie das CineStar im Sony Center Schwierigkeiten haben, beruhigt die „Yorcker“ nicht. „Die werden nicht vom Markt genommen, auch wenn sie große Probleme am Bein haben“, sagt das Betriebsratsmitglied. Sind doch für die Investoren die Häuser nur für die Kinonutzung weiter denkbar. Für mögliche Umbauten fehlt nach den hohen Investitionskosten heute das Geld. Und ein Textilgeschäft oder ein Supermarkt – wie bei den Kinoumbauten am Kurfürstendamm geschehen – ist an den Multiplexstandorten nicht vorstellbar.
Bleibt also der Konkurrenzdruck – und der Optimismus und die Kreativität von Programmmachern inklusive Entlassungen und der Verringerung der Abspielzahlen. Retten wird die Yorck-Gruppe aber nachhaltig nur etwas anderes: nämlich Filme wie „Good Bye, Lenin!“, „Halbe Treppe“ oder „Bowling for Columbine“, die man unbedingt sehen will und wo man sich deshalb nicht zu sehr über weiße Zettel ärgert.