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Archiv-Artikel

Die älteste Grenzstadt des Landes

Die Colonia Ulpia Traiana lag an der Grenze zwischen Rom und Germanien. Heute erinnert am Niederrhein bei Xanten ein Archäologie - und Freizeitpark an die römische Stadt, an 300 Jahre friedliche Koexistenz zwischen Römern und Germanen und an die Gewalt der Völkerwanderung

Wer seine Geschichte nicht kennt, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen. Mit diesem Satz könnte der Archäologische Park in Xanten Werbung machen. Während einer Führung durch diese einzige nicht überbaute Römerstadt nördlich der Alpen drängen sich ständig Vergleiche zur Gegenwart auf

VON LUTZ DEBUS

Lothar Kroll ist einer der Museumsführer in Xanten. Liegt es daran, dass er aussieht, als wäre er als römischer Senator gerade dem Monumentalfilm „Quo Vadis“ entsprungen? Ist es sein unerschöpfliches Detailwissen über diese Stadt? Sein Publikum ist jedenfalls begeistert. Stolz zeigt er den Besuchern das alte Colonia Ulpia Traiana. So hieß Xanten im Jahre 100 nach Christi Geburt. Die Säulen des Tempels ragen imposant in den wolkenlosen Himmel.

„Mächtiger Trubel war damals auf dem Platz hier. Wenn eines der Kinder nicht so gut war in der Schule oder eine Beförderung des Vaters anstand, dann ging man zum Tempel. Auf dem Vorplatz gab es Opfertiere zu kaufen. Mit einem Hähnchen konnte man bei den entsprechenden Göttern wohl schon einiges bewirken, mit einer Kuh sicherlich noch mehr.“ Lothar Kroll deutet mit seinem Stock auf die Wand im Tempel: „Die Römer haben preisbewußt gebaut. Unten wurden die Wände mit Marmor getäfelt, weiter oben waren sie nur in der gleichen Farbe gestrichen. Der Unterschied ist von hier nicht zu erkennen. Und die Götter werden schon ein Auge zugedrückt haben.“

10.000 Einwohner hatte diese Römerstadt, für damalige Verhältnisse schon eine Metropole. Es gab ein Amphitheater, ein Dampfbad, eine Herberge. Von der Kanalisation schwärmt Lothar Kroll besonders:. „Es gab drei verschiedene Arten von Frischwasser. Das Trinkwasser kam aus einem Aquädukt, Badewasser aus dem Brunnen und Wasser zum Waschen und Putzen aus der Zisterne. Solch ein Aufwand würde manchen Ökologen heute begeistern. Das Abwasser wurde in Kanäle geleitet. In den Straßen der Wohlhabenden waren die sogar mit Steinplatten abgedeckt, also völlig geruchsfrei. Denken Sie da mal an das Mittelalter ...“

Auch beim Besuch des Amphietheaters wirbt Kroll bei den Besuchern um Verständnis für die alten rheinischen Römer: „Ob hier tatsächlich das gleiche brutale Programm lief wie im Zircus Maximus? Ich kann es mir nicht vorstellen. Gladiatoren waren ja damals so etwa das, was heutzutage Fußballer sind. Die haben sehr viel Geld gekostet. Ablösesummen, Spesen, Honorare, Reisekosten. So wohlhabend war man auch damals nicht am Niederrhein. Löwen waren wohl aus dem selben Grund zu teuer. Die Fracht übers Mittelmeer, über die Alpen, den ganzen weiten Weg hierhin. Die Löwen in Rom waren übrigens nicht das schlimmste. Die Kreuzigungen waren qualvoller, tagelang gegen das Ersticken anzukämpfen. Da zogen es viele Verurteilte vor, den Löwen zum Fraß vorgeworfen zu werden. Aber zurück ins Rheinland. Wahrscheinlich gab es in diesem Theater nur Zirkusveranstaltungen mit Jonglage, Akrobatik und Clownerie, vielleicht noch Modeschauen. Es war der Damenwelt damals sicher wichtig, wie lang die Tunika in der nächsten Sommersaison getragen wurde.“

Fast fühlt sich der Besucher in eine Kulisse eines Asterix-Filmes versetzt. In der Taverne servieren freundliche Kellnerinnen in historischen Gewändern zwar nicht Wildschwein aber doch Pils und Kaffee, Bockwurst und Streuselkuchen. Aus den Touristenbussen steigen ständig neue Reisegruppen. Etwa 40 Prozent der Gäste kommen aus den Niederlanden. Es gibt spezielle Führungen für sie, auch für Senioren, für Schulklassen, für Sehbehinderte und Blinde. In der Herberge können Gruppen von Behinderten sogar übernachten. Das Dampfbad mit seinen mosaikbesetzten Wänden wird historisch korrekt mit Holz beheizt. Ein Klettergerüst für die Kleinen hat die Form einer römischen Festung.

Ist Xanten also nur ein Ziel für ein gelungenen Familienausflug? Der Rhein war damals die erste Grenze, die es in dieser Region gab. Auf der einen Seite lebten die Römer, auf der anderen die Germanen. Aber die meisten Römer waren eigentlich auch Germanen oder eben Gallier, allerdings mit römischer Staatsangehörigkeit. Römer und Germanen lebten zu Zeiten der Colonia Ulpia Traiana friedlich nebeneinander. Zuvor, etwa im Jahre Null, hatte sich Kaiser Augustus bei seinem Plan der Osterweiterung seines Reiches eine blutige Nase geholt. Hermann und die Kerusker metzelten die Römer im Teutoburger Wald nieder. Ein entsprechendes Denkmal findet sich noch immer auf einem Berg nahe Detmold.

War Hermann quasi der erste Globalisierunggegner? Lothar Kroll winkt ab: „Hermann mißfiel, wie die Römer die Germanen behandelten. Globalisierung gab es ja damals so noch gar nicht.“ Der Versuch von Augustus, das Römische Reich nicht am Rhein enden zu lassen, sondern bis zur Elbe auszudehnen, scheiterte also. Der sich anschließende 300-jährige Frieden war eine Zeit der friedlichen Koexistenz. Die Germanen verkauften Butter und Bärenfelle an die Römer, kauften von ihnen Wein und Parfüm. Und die Germanen verkauften ihre Arbeitskraft, waren quasi Arbeitsemigranten im eigenen Land. Irgendwann aber tauchten andere Germanen vor den Toren der Stadt auf.

Sie kamen von dort, wo auf heutigen Landkarten jetzt Polen, die Ukraine, die neuen Bundesländer zu finden sind. Und diese Germanen waren nicht mehr friedlich. Keine noch so starke Mauer kann eine Völkerwanderung aufhalten. Die Bürger von Colonia Ulpia Traiana flohen aus ihrer Stadt. Die Germanen allerdings wollten nicht in Steinhäusern wohnen, plünderten und zogen weiter. Die Menschen aus den darauffolgenden Epochen benutzten die römische Stadt als Steinbruch. So mancher Ziegel in dem mittelalterlichen Stadtkern von Xanten ist römischen Ursprungs.

Von dem alten Colonia Ulpia Traiana blieben nur die Fundamente und Keller. Tempel, Theater, Herberge und Taverne sind nur Nachbauten. In den Sechziger Jahren wollte man ein Gewerbegebiet hier ansiedeln. Der Denkmalsschützer machte den Planern allerdings noch rechtzeitig einen Strich durch die Rechnung. „Nein, aus all diesen Geschichten kann man für die heutige Zeit nichts lernen. Die Antike ist mit der Neuzeit nicht zu vergleichen.“ Lothar Kroll schmunzelt bei diesem Satz. Ob man ihm glauben kann?