: Das lautstarke Schweigen
Offiziell freigegeben, kommt der Film „Ararat“ von Atom Egoyan in der Türkei dennoch nicht in die Kinos
Eine Zensur findet nicht statt. Dennoch wird der Film „Ararat“ von Atom Egoyan, der in Deutschland gerade angelaufen ist, vorerst nicht in die türkischen Kinos kommen. Vor zwei Wochen gab der Belge-Filmverleih, der die Aufführungsrechte für die Türkei erworben hat, überraschend bekannt, man werde darauf verzichten, den Film zu zeigen. Zur Begründung hieß es, man müsse Rücksicht nehmen auf die, die sich von dem Film provoziert fühlten.
Dem Rückzieher waren Drohungen auf einer Website der Grauen Wölfe vorangegangen, der Jugendorganisation der ultranationalistischen Partei MHP. Ein Sprecher des Verleihs sagte, man wolle nicht riskieren, dass es zu Zwischenfällen komme, und man wolle den Zuschauern auch nicht zumuten, unter Polizeischutz ins Kino zu gehen.
Erst wenige Wochen zuvor hatte der türkische Kulturminister Erkan Mumcu die Aufführung offiziell genehmigt. Er hatte zwar keinen Hehl daraus gemacht, was er von dem Film hält. „Ararat“ so Mumcu, sei „ein primitiver Propagandafilm“. Dennoch hatte sein Ministerium den Film freigegeben.
Der Völkermord an den Armeniern, von dem „Ararat“ handelt, bleibt in der Türkei aber ein neuralgisches Thema. Schon als der Film produziert wurde, waren in verschiedenen türkischen Zeitungen Artikel erschienen über einen neuen armenischen Film, der mit dem Ziel gemacht werde, die Türkei zu denunzieren. Das halboffizielle „Institut für armenische Studien“ in Ankara bezeichnete den Film als eine „verlorene Chance“ für die armenisch-türkische Aussöhnung. Atom Egoyan habe unter dem Druck seiner Umgebung und seiner Frau, die in dem Film eine Hauptrolle spielt und als „armenische Nationalistin“ bekannt sei, einen reinen Denunziationsfilm gedreht, hieß es.
So bleibt es beim Tabu: Seit Gründung der Republik im Jahre 1923 bestreiten alle türkischen Regierungen, dass im Osmanischen Reich zwischen 1915 bis 1918 ein Völkermord an der armenischen Minderheit stattgefunden hat. Nach offizieller Lesart, die von nahezu allen Historikern des Landes geteilt wird, wurden die Armenier aus dem Grenzgebiet zu Russland deportiert, weil sie mit dem Kriegsgegner kollaboriert hätten.
Vor dem Ersten Weltkrieg lebten rund 1,5 Millionen Armenier im Osmanischen Reich. Heute sind es in der Türkei nur noch knapp 200.000. Alle anderen wurden damals umgebracht oder flohen in die Nachbarländer. Egoyans Familie etwa lebte nach ihrer Flucht in Ägypten, bevor sie nach Kanada emigrierte.
In der Türkei nimmt man nun besorgt die große Resonanz zur Kenntnis, mit der der Film in den USA lief. Bereits mehrfach haben verschiedene Ausschüsse des US-Kongresses in den letzten Jahren über die Forderung armenischer Exilgruppen beraten, offiziell zu dem Völkermord Stellung zu nehmen. Das Europäische Parlament und das französische Parlament haben bereits Erklärungen verabschiedet, die den Völkermord anerkennen. Der Druck auf die Türkei ist damit gewachsen.
JÜRGEN GOTTSCHLICH