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Archiv-Artikel

DIE KRISE IRANS ZEIGT DIE WIDERSPRÜCHE DER ISLAMISCHEN REPUBLIK Ohne Volk keine Reform

Nun hat der konservative Wächterrat auch den letzten Kompromissvorschlag des Parlaments abgelehnt, die seit 15 Tagen streikenden Abgeordneten der Reformfraktion sind wieder am Zug. Wenn nichts Außerordentliches geschieht, werden sie noch in dieser Woche ihr Mandat niederlegen. Ihnen werden rund hundert hohe Staatsbeamte, mehrere Minister, Vizepräsidenten, Staatssekretäre und Provinzgouverneure folgen. Unter diesen Umständen ist es möglich, dass auch Staatspräsident Chatami sein Amt niederlegt. Die einzige Möglichkeit, aus der völlig verfahrenen Situation herauszukommen, wäre ein Machtwort des Revolutionsführers Chamenei. Nach der Verfassung hat er das letzte Wort, aber das Sagen haben in Wirklichkeit die grauen Eminenzen, die offenbar mit aller Härte das Parlament zurückerobern wollen.

Wie noch nie in der Geschichte der Islamischen Republik zeigt sich in dieser tiefsten politischen Krise des Landes der Widerspruch zwischen einer Republik, in der das Volk die Entscheidungen trifft, und einem Gottesstaat, in dem die Geistlichkeit im Namen Gottes das Land absolut regiert. Die Reformer haben einen Mittelweg versucht und sind gescheitert. Welche Entscheidungen in nächster Zeit auch getroffen werden – ob die Konservativen weiter Härte zeigen und eine geringe Wahlbeteiligung und den Wahlboykott durch die Reformer in Kauf nehmen oder ob die Wahlen um einige Monate vertagt werden – das Ergebnis bleibt dasselbe: Es ist die Bankrotterklärung der absoluten Herrschaft der Geistlichkeit, die sich mit dem Schein einer Republik zu schmücken versucht.

Das Volk, das den Konservativen längst den Rücken gekehrt hat und von den Reformern zutiefst enttäuscht ist, schaut bislang zu, als handele es sich um einen Familienstreit, aus dem man sich lieber heraushalten sollte. Das historische Verdienst der Reformer bestand darin, dass sie den Widerspruch zwischen einem Gottesstaat und einer Republik auf die Spitze getrieben haben. Sollte es ihnen nun nicht gelingen, das Volk für ernsthafte Alternativen zu mobilisieren, kann ihre Mission als beendet betrachtet werden. BAHMAN NIRUMAND