kulturhauptstadt im kasten (13) : Die Debatte zur Bremer Bewerbung – heute: Thomas Krämer-Badoni, Universität Bremen
In einem Akt kultureller Selbstreinigung die Hochstraße sprengen
Bremen möchte Kulturhauptstadt Europas werden. Aber wie? Kulturschaffende, Wissenschaftler und Entscheidungsträger beziehen Position. Heute: Professor Thomas Krämer-Badoni, Direktor des Forschungsinstituts „Stadt und Region“ an der Universität Bremen
Sich für den Titel einer Kulturhauptstadt Europas zu bewerben, ist für sich gesehen weder eine mutige noch eine gewagte Entscheidung. Aber es ist eine Entscheidung, deren Umsetzung mehr verlangt, als nur ein Fortschreiben der bisherigen Kultur- und Stadtentwicklungspolitik.
Als Soziologe mit dem Schwerpunkt Stadtentwicklung werde ich mich hüten, zu den Kulturszenen, der Kulturpolitik, dem Kulturbegriff allzu viel zu sagen. Es ist auch gar nicht nötig, dass jeder zu allem etwas sagt. Im Gegenteil: es wäre wunderbar, wenn der Kommunikationsprozess zur Bewerbung sich dadurch auszeichnete, dass die daran Beteiligten über das reden, wovon sie etwas verstehen. Sonst wird aus der Kommunikationsplattform eine platt geformte Kommunikation.
Zur Kultur also nur soviel: Wenn alles als Kultur definiert wird – und das offene Kulturverständnis in Bremens vorläufigem Konzept scheint in diese Richtung zu tendieren – unterscheidet Kultur sich von nichts mehr. Das wäre keine gute Voraussetzung für eine Bewerbung zur Kulturhauptstadt, allenfalls für eine Bewerbung zur „Alles-ist-gleich-gültig“-Hauptstadt Europas.
Ein wirklich klitzekleiner Vorschlag: Lasst uns den Kulturbegriff nicht so fassen, dass alles, jeder, jede, jedwedes dazugehört. Zweifelsohne gehört Kultur zum Leben. Aber sie verliert ihren Sinn, wenn wir sie mit Leben einfach nur gleichsetzen. Die Bremer Diskutanten werden sich also für eine Kultur entscheiden müssen, die anderes ausgrenzt. Ausgrenzungsprozesse tun weh, aber ohne Ausgrenzung kein Profil.
Im Einrichtungsbeschluss zur „Kulturhauptstadt Europas“ vom 25. Mai 1999 sind im Artikel 3 die Ziele benannt, die eine Stadt im Auge haben muss, will sie sich erfolgreich bewerben. Zusammengenommen ist das alles nicht besonders klar. Bis auf eines: die Traditionen der Stadt, ihr Beitrag zu Kunst und Kreativität, ihr Erbe in Architektur und Lebensqualität sind Voraussetzungen einer Bewerbung. Die Fortentwicklung dieser Traditionen in die Zukunft hinein soll im Mittelpunkt der Bewerbung stehen.
Jede Stadt hat gute und schlechte Traditionen, in jeder gibt es zeitgebundene Fehler in der Stadtentwicklung. Das ist ganz normal. Wie wäre es aber, wenn wir uns in Bremen der Fehlentwicklungen vergewissern würden, deren Verlängerung wir nicht anstreben sollten? Deren Rückentwicklung sogar Gegenstand der Bewerbung sein könnte?
Ein paar zufällig zusammengestellte Beispiele: die Hochstraße vor dem Bahnhof, die fällt wahrscheinlich nicht unter den fünften Spiegelstrich des Art. 3 des Einrichtungsbeschlusses: „Förderung des Empfangs von Bürgern aus der Union“. Wenn Bürger der Union aus dem Bahnhof treten, werden sie spätestens am Breitenweg vor den Kopf gestoßen. Sollte man die Hochstraße nicht einfach in einem Akt kultureller Selbstreinigung sprengen?
Gewiss, der Straßenverkehr wird dadurch nicht weniger, aber der tote Raum verschwände, und Bremen würde dem ankommenden Unionsbürger mit einer stark befahrenen Hauptstraße zeigen, dass es eine Großstadt ist. Immer noch besser als die Hochstraße.
Osterholz-Tenever? Muss man dazu noch etwas sagen? Der Teerhof, was hätte das für ein leuchtendes Prunkstück werden können! Der Space-Park? Ein Bildungs- und Unterhaltungspark zum Weltraum, das wäre etwas gewesen. Ein erweitertes Universum, das ja. Aber eine raketengeschmückte Einkaufsstadt?
Die stadtbremischen Häfen! Hier sind wohl die meisten interessanten Initiativen an verständlichen, aber kurzsichtigen Betonhaltungen gescheitert. Der Verzicht auf eine großzügige Wohnbebauung zugunsten des Erhalts von 17 Ÿ Arbeitsplätzen, die Ansiedlung des Großmarktes, das Saftexperiment … Das alles ist auch eine Kultur. Aber nicht die, die zur Kulturhauptstadt Europas, sondern eher zu einer Provinzhauptstadt des Nordwestens gehört.
Gewiss, Bremen wird kaum in der Lage sein, solchen Entwicklungen gegenzusteuern, zumal es diese selber forciert hat. Aber vielleicht kann das eine oder andere als Aufhänger für einen demonstrativen Akt genommen werden?
Vielleicht die Planungen zum Speicher XI für eine spektakuläre ästhetische Kombination von Wohnen und kultureller Dienstleistung? Lasst über so etwas nicht im parteipolitischen Proporz entscheiden, nicht unter Berücksichtigung aller möglichen Interessen. Es reicht nicht, auf fahrende Züge zu springen (siehe Musicaltheater), man muss sie selber in Gang setzen (siehe Universum).
Bremen muss sich für diese Bewerbung nicht neu erfinden. Aber ohne den einen oder anderen Sprung über den eigenen Schatten wird es auch nicht gehen. Das Wissen zur europäischen Stadt, die Diskussion über deren Zuschnitt, das können wir Euch regional und international organisieren. Aber springen müsst Ihr selber, Ihr Politiker und Verwalter. Wagen und winnen! Aber wem sage ich das?
Thomas Krämer-Badoni