DIE LADENSCHLUSSZEITEN REICHEN AUS – SOGAR FÜR ERLEBNISKÄUFER : Überflüssige Trendpolitik
Frage: Warum suchen Supermärkte immer wieder Kassiererinnen? Antwort: Weil die Arbeitsbedingungen so hart sind. In einer Billigmarktkette beispielsweise müssen Kassiererinnen pro Minute 42 Artikel über den Scanner an der Kasse ziehen. Sie werden nach „Kapowaz“, nach kapazitätsorientierter Arbeitszeit, eingesetzt. Das heißt, Mitarbeiterinnnen können erst am Morgen darüber informiert werden, dass sie sofort einspringen müssen. Samstags demnächst auch bis 20 Uhr. Die neue Erweiterung des Ladenschlusses trifft erstens eine Branche mit den härtesten Arbeitsbedingungen und zweitens Frauen. Es ist die überflüssigste Reform der rot-grünen Legislaturperiode. Punkt.
Nach dem Gesetzentwurf, der gestern dem Bundestag zur Abstimmung vorgelegt wurde, dürfen Läden von Juni an samstags statt wie bisher nur bis 16 Uhr künftig bis 20 Uhr öffnen. Neue Arbeitsplätze bringt das nicht, wie man aus der bisherigen Erweiterung des Ladenschlusses weiß. Aber den Kunden will man damit entgegenkommen, ihrem „Kaufverhalten“ Rechnung tragen, wie rot-grüne Wirtschaftspolitiker betonen. Die Erweiterung des Ladenschlusses ist somit ein Beispiel für Trendpolitik, wie sie auch die Grünen betreiben. Man folgt einer Flexibilitätsideologie, die en vogue ist. Der alte Sozialkram wirkt dagegen irgendwie gewerkschaftsmiefig und unsexy. Wer entlang der Fakten argumentiert, dem wird kaum noch zugehört.
Fakt ist: Die bisherigen Ladenschlusszeiten reichen wunderbar aus, damit vielbeschäftigte Singles und doppelt belastete Mütter und Väter ihren Alltagskonsum bewältigen können. An Werktagen bis 20 Uhr und am Sonnabend bis 16 Uhr einkaufen: Das bietet genügend Raum für Versorgungs- und Erlebniskäufe. Ein Vertreter der Arbeitgeber erklärte allen Ernstes, die längere Öffnungszeit bis 20 Uhr solle den „Erlebniseinkauf“ der Familien am Samstag fördern. Erlebniseinkauf mit Familie! Ist der Mann schon mal am Samstag mit Familie ins Kaufhaus gegangen? Na also. Es gibt tollere Erlebnisse, als am Wochenende mit kleinen Kindern durch Kaufhäuser zu ziehen.
Für viele Familien der Verkäuferinnen allerdings wird das gemeinsame Wochenende künftig halbiert: dann nämlich, wenn der Samstag für mehr Beschäftigte als zuvor zum vollen Arbeitstag wird. Es wirkt wie ein Hohn, wenn Verkäuferinnen künftig Anrecht auf wenigstens einen freien Samstag im Monat erhalten sollen. In vielen Supermärkten wird es weiter heißen: Kassiererinnen immer wieder dringend gesucht. BARBARA DRIBBUSCH