Steh auf und gleite

Shiatsu verbessert das Wohlbefinden und kann den Körper gegen Krankheiten feien. Die Idee dabei ist, durch Berührung Blockaden aufzulösen und die Energie im Körper auszubalancieren

von GERNOT KNÖDLER

Shiatsu ist eine sanfte Behandlungsmethode. Doch während Sie entspannt auf einer Decke liegen und allenfalls einen angenehmen Schmerz verspüren, kann es sein, dass Ihr Shiatsu-Praktiker gerade den Ellenbogen mit seinem ganzen Körpergewicht in Ihren Oberschenkel drückt. Wenn es richtig weh tut, hat der Behandelnde etwas falsch gemacht. Nach einer guten Shiatsu-Behandlung stehen jedoch die Chancen gut, dass Sie sich von der Matte erheben, um für die nächsten Stunden geschmeidig durch die Welt zu gleiten. Danach ist in der Regel klar, dass sich die meisten von uns ganz schön verkrampft durchs Leben kämpfen.

Wie ein Bach, der von Geröll befreit wird

Dem Shiatsu liegt die Vorstellung zu Grunde, dass unser Körper entlang von Energiebahnen aufgebaut ist, den Meridianen. Sind sie blockiert, kommt es zu einem Ungleichgewicht. Der Körper verspannt sich und wird unbeweglich. Seine Vitalität nimmt ab, er wird anfällig für Krankheiten. „Das ist wie ein Bach, in den lauter Geröll hineingekommen ist“, sagt Gabriele Kaechele, die Vorsitzende der Gesellschaft für Shiatsu in Deutschland (GSD). Beim Shiatsu geht es darum, das „Geröll“ in den Energiebahnen wegzuräumen, wovon auch der Körper profitiert.

„Ein lebendiger Körper ist ständig im Auf- und Abbau begriffen“, sagt die Hamburger Heilpraktikerin, die seit 15 Jahren Shiatsu gibt. „Wir legen unsere Hände auf und versuchen herauszufinden, welche Bereiche energetisch unterversorgt sind und welche übersprudeln.“ Durch Druck auf die Meridiane und neuralgische Punkte, aber auch durch das Dehnen, Rotieren und Kneten von Körperteilen versuchen Shiatsu-Praktiker einen Ausgleich herzustellen.

Was zu tun ist, versucht der Behandelnde zu fühlen. Es gebe Stellen, die fühlten sich eher leer, kalt und weich an, während andere heiß wirkten und eine hohe Muskelspannung aufwiesen. „Das ist nicht so geheimnisvoll, wie man sich das vorstellt“, sagt Kaechele. Ihr Kollege Jens Hering, der Shiatsu am Arbeitsplatz anbietet, hält es für das Ergebnis von Erfahrung. Er habe vor allem aus den Reaktionen seiner Kunden und am eigenen Leib gelernt, durch Behandlungen, die er selbst genossen hat.

Die Shiatsu-Therapeutin Sylvia Glatzer betont die Wechselwirkung zwischen dem, der Shiatsu gibt, und dem, der es empfängt. „Shiatsu ist reine Energiearbeit“, sagt sie. Auch die Therapeutin sei Teil des Energiesystems, so dass es bei den Klienten ganz schnell zu emotionalen Reaktionen kommen könne: Bilder, vergessene Gefühle, Erinnerungen tauchten auf. „Man fühlt sich wacher, bewusster und ist dabei entspannt“, verspricht Glatzer. Um erfolgreich zu sein, muss aber auch der Praktiker darauf achten, dass er sich nicht zu sehr anspannt und dass er sich nicht erschöpft.

Weil die Wechselwirkung zwischen dem Klienten und dem Praktiker so komplex ist sagt Kaechele: „Wir können im Shiatsu nie sagen, wie das wirkt, was wir tun.“ Das Shiatsu greife in ein derart kompliziertes Geflecht ein, dass der Praktiker nicht wissen könne, was der Körper damit macht. Kaechele würde es deshalb auch nicht einfallen, Shiatsu als Alternative zu den Heilmethoden der Schulmedizin oder zu den Heilmethoden dieser Welt überhaupt zu propagieren. In ihren Augen dient Shiatsu der „Gesundheitspflege“, die sie gerne als „dritte Säule des Gesundheitswesens“ etabliert sehen würde – neben der Heilkunde und der Gesundheitsvorsorge, die stark auf spezielle Krankheiten zugeschnitten sei.

„Es ist ein Wahnsinn, zu denken, dass ein Mensch, der zehn Jahre lang ein Magenproblem kultiviert hat, allein mit Shiatsu geheilt werden kann“, sagt Kaechele. Wer mit den Symptomen einer akuten Krankheit in eine Shiatsu-Praxis kommt, wird nach den Richtlinien des Berufsverbandes GSD zum Arzt geschickt – Energie hin, Energie her. Danach gelte es zu klären, welchen Einfluss Lebensführung und Ernährung auf die Krankheit haben könnte. Shiatsu schließlich könne dazu beitragen, dass Körper und Geist so gesund werden, dass sie Krankheiten trotzen können. „Wir unterstützen die gesunden Prozesse im Körper“, sagt Kaechele.

Standards für Ausbildung und Praxis

Der Berufsverband GSD mit 750 Mitgliedern, dem sie vorsitzt, hat Standards für die Ausbildung von Shiatsu-Praktikern und die Anwendung dieser Behandlungsmethode gesetzt. Wer sich fundiert ausbilden lassen möchte, muss viel Zeit und etwa 7500 Euro investieren. Wer in den Genuss einer Shiatsu-Behandlung kommen möchte, kann sich aus der Liste der GSD im Internet einen Praktiker in der Nachbarschaft suchen (www.shiatsu-gsd.de) oder auf Anzeigen achten. Ob Sie mit dem Praktiker harmonieren, müssen sie ausprobieren. Es zählt der subjektive Effekt. Eine Stunde kostet um die 50 Euro.

An Himmelfahrt, vom 29. bis 31. Mai findet in der Schule Rothestraße in Altona der GSD-Jahreskongress 2003 statt. Er steht allen Besuchern offen.