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Archiv-Artikel

strafplanet erde: et ego in australia von DIETRICH ZUR NEDDEN

Es war, als ob alle Systeme heruntergefahren wären, nur die körpereigenen Abwehrkräfte schienen schwer beschäftigt zu sein. Neben der Horizontalen des Krankenlagers vertikal geschichtet etliche Bücher, eines davon mit dem Titel „Das Leben und das Schreiben“: „Ich würde sogar behaupten“, behauptet Stephen King darin, „dass Ihre Lebensqualität und die Qualität Ihres Schreibens deutlich verbessert werden, wenn Sie abends die endlos quasselnde Kiste ausschalten. Und so groß kann das Opfer doch nicht sein, oder?“

Ich würde gern behaupten, diesem Rat gefolgt zu sein, stattdessen aber schaltete ich mitten hinein in die vierte oder fünfte Folge einer Soziotopen-Show, die mich sofort in Erstaunen versetzte, allein schon wegen des Titels: „Ich bin ein Star“, lautete der erste Teil der Überschrift, aber mir waren vier der Kandidaten sogar dem Namen nach völlig unbekannt. „Holt mich hier raus!“ hieß es dann weiter, aber das Ziel der Unternehmung war, so lange wie möglich drin zu bleiben.

Ich würde gerne behaupten, der abendliche Fernblick in den australischen Dschungel mit Hilfe von 32 Kameras und 250 Crew-Mitgliedern habe mich intellektuell unterfordert. Oder herausgefordert. Aber dem war nicht so, mag daraus Rückschlüsse ziehen, wer will. Wenn auch in homöopathisch dosierten Auszügen verfolgte ich zum ersten Mal in meinem Leben eine so genannte Doku-Soap. Von einigem Reiz waren aber weniger die Prüfungen, sondern wie perfekt Zynismus und Schadenfreude – übrigens eines der deutschen Wörter, die als Lehnwort im Oxford Dictionary stehen – produziert und präsentiert wurden. So perfekt, dass ich problemlos auf die dazu gehörige Medienkritik verzichten konnte.

Am Schluss blieben zwei Vertreter der älteren Generation übrig. Costa Cordalis und Lisa Fitz.

Jetzt war es so weit: TV-Gerät aus! An die Arbeit. Mir war eingefallen, dass ich die Kopie eines Briefes besitze, geschrieben von Lisa Fitz an einen Bekannten von mir. Er hatte ihren Roman „Flügel wachsen nach“ in Grund und Boden rezensiert, Absätze wie diesen zitierend: „Und dann fühlte ich seine Hand unter meinem Rock (…) und spreizte die Beine und kam unter seiner Hand, einmal, zweimal, und dann saugte sich sein Mund fest, und ich spürte seine Lippen und seine Zunge in der Mitte meiner Schenkel …“

Die souveräne Reaktion der Autorin darauf ist nachvollziehbar: „Mußte es sein, daß die banalsten aller Textstellen zitiert werden, ja?“ Nach mehreren anderen rhetorischen Fragen ist sich Lisa Fitz eines gewiss: „Ihre Kritik ist vergessen – mein Buch bleibt. (Es) wird von kompetenten Menschen als Naturereignis bezeichnet (…)“ Dass sie davon etwas versteht, hat sie Millionen Zuschauern bewiesen, so wie sie aus 75 Zeilen das Karriereprofil eines Rezensenten zu formulieren vermag: „Am fehlenden Einfühlungsvermögen nämlich erkennt man, daß Sie bisher nichts von Tragweite und Bedeutung und innerer Kraft geschrieben haben.“ Das scharfsinnigste Urteil spart sie sich für den Abschied auf: „Ohne mich wäre die Welt ein Stück ärmer – ohne Sie nicht.“ Mit der Überzeugung ausgestattet ist es natürlich kein Wunder, wenn man gleich hinter dem Dschungelkönig auf dem zweiten Platz landet.