: Wofür steht das Kopftuch?
betr.: „Kopftuchverbot am Rande der Legalität“, taz vom 24. 1. 04
Ein neuer Gesetzentwurf für Niedersachsen soll Lehrpersonal generell in der Schule „politische, religiöse, weltanschauliche oder ähnliche Bekundungen“ untersagen, die den „Schulfrieden gefährden oder stören“ können. Das Gesetz nimmt aber „die Bekundung christlicher und abendländischer Bildungs- und Kulturwerte“ ausdrücklich von diesem Verbot aus. Da stellt sich zumindest die Frage: welche christlichen und abendländischen Kulturwerte denn genau?
Vielleicht die der Jahrhunderte währenden Verfolgung von Andersgläubigen sowie angeblichen Ketzern, Hexen etc.? Oder vielleicht die folgenden konkreten Interpretationen des Liebesgebots aus dem Neuen Testament? Jeder Obrigkeit ist zu gehorchen, denn jede ist von Gott verordnet. Römerbrief, Kapitel 13, Vers 1. […] Ehefrauen sollen ihre Männer als Herren betrachten, z. B. Epheserbrief, Kap. 5, V. 21. Sklaven sollen ihre Herren ehren, etwa 1. Timotheusbrief, Kap. 5, V.1. Alle Menschen, die nicht an Jesus als den Christus glauben, werden nicht gerettet, sondern „verdammt“, etwa Markusevangelium Kap. 16, V. 16. Was für ein Gerechtigkeitsverständnis!
[…] Nicht der Demokratie (im heutigen idealen Verständnis des Begriffs) sind mit solchen Gesetzen Tür und Tor geöffnet, sondern der Willkür und dem scheinheiligen Ressentiment gegenüber anderen Kulturen. […] BERNHARD WAGNER, Rostock
betr.: „Kopftuch ist wie gelber Stern“, Interview mit Chahdortt Djavann, taz vom 24. 1. 04
Die traumatisierte, bereits in ihrer Kindheit unter den Schleier gezwungene iranische Dame ist also der festen Überzeugung, freiwillig tuchtragende Frauen würden sich bereitwillig selbst demütigen.
Das lässt mich an Dolphus Raymond aus „Wer die Nachtigall stört“ denken: ein Außenseiter, der freiwillig die Gesellschaft der Weißen verlassen hat und nur noch mit Schwarzen verkehrt. Alle Welt meint, er sei ein armer, verrückter Säufer, doch es stellt sich heraus, dass er seit vielen Jahren den Dauerbetrunkenen nur spielt. Nach dem Grund gefragt, erklärt er: „Es ist nicht ehrlich, aber es hilft den Leuten. Insgeheim gesagt, Miss Finch, ich bin kein großer Trinker, aber weißt du, sie könnten nie, nie verstehen, dass ich einfach so lebe, weil ich so leben möchte.“
Wenn es den Leuten denn hilft und mich so vielleicht davor beschützt, Opfer noch aggressiverer Attacken zu werden, dann, in Gottes Namen, sollen sie weiterhin denken, ich trage das Tuch, weil ich Masochistin bin und meine Unterwürfigkeit demonstrieren möchte. Gegenteiligen Behauptungen wird erfahrungsgemäß ohnehin kein Glauben geschenkt. Das Einzige, was mich daran stört, ist die Tatsache, dass Frauen – oft gerade Frauenrechtlerinnen – damit dasselbe machen, was sie Männern seit Ewigkeiten vorhalten: andere Frauen entmündigen und für intellektuell unzurechnungsfähig erklären.
HEIKE OBREGÓN, Muslimin und Tuchträgerin, Hannover
Selten bringt jemand das Problem so klar, prägnant und mutig auf den Punkt wie Chahdortt Djavann im Interview mit Dorothea Hahn. Jeder weiß, dass Frau Djavann Recht hat, auf jeden Fall wissen es die Lehrer, denn sie werden täglich mit den aggressiven Unterdrückungspraktiken der Islamisten konfrontiert. In der Heilbronner Tageszeitung ist Ende letzten Jahres ein Artikel über eine 17-jährige Muslimin erschienen, die behauptet hat, sie trage das Kopftuch freiwillig. Sie wurde mit dem Satz zitiert: „Ich akzeptiere doch auch, wenn Mädchen bauchfrei rumlaufen.“ Als Schülerinnen einer Gymnasialklasse im Zusammenhang einer Unterrichtseinheit „Migration“ dieser Artikel vorgelegt wurde, berichteten ehemalige Mitschülerinnen, wie diesem Mädchen vor Jahren das Kopftuch aufgezwungen worden war: unter Androhung von Prügeln! Bei Nichtbefolgung wurde ihr damit gedroht, dass man sie dann zwangsweise zur Verwandtschaft in die Türkei zurückbringe. Ein solcher Vorgang ist (leider) kein Einzelfall, vielmehr nehmen solche Praktiken immer mehr zu. Sie beweisen: Das Kopftuch steht in der Tat für die gewaltsame Unterdrückung der Frau. ERHARD JÖST, Heilbronn