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Archiv-Artikel

Wahl-Karussell von Gauklern und Narren

Neun Kandidaten wollen bei den Präsidentenwahlen im März gegen den russischen Staatschef antreten. Reale Chancen auf einen Sieg und Interesse am höchsten Staatsamt in der Wahlmonarchie à la Putin hat von ihnen jedoch ohnehin keiner

Die Botschaft blieb hängen: Zu virtuellen Wahlen gehören auch virtuelle Opponenten

Aus MoskauKLAUS-HELGE DONATH

Alexander Weschniakow steht in dem Ruf, ein Mann ohne Eigenschaften zu sein. Seit Jahren bekleidet der blasshäutige Bürokrat in Russlands Zentraler Wahlkommission den Chefposten. Ob Wählerwillen oder Kremlwünsche – bisher gelang es ihm, beide unter einen Hut zu bringen. Selbst von härtesten Vorwürfen der Wahlmanipulation ließ er sich nicht aus der Ruhe bringen.

Das schaffte erst Masjanja, Heldin eines Trickfilms mit Kultstatus, die eine Fangemeinde zur Kandidatin küren wollte. Keinesfalls, entschied Weschniakow, der auf den Angriff aus dem Cyberspace nicht vorbereitet war. Die Botschaft blieb hängen: Zu virtuellen Wahlen gehören auch virtuelle Opponenten.

An der Wiederwahl Wladimir Putins im März bestehen keine Zweifel, denn es fehlen glaubwürdige Alternativen. Unter der Ägide des Kremlherrn hat sich Russland in eine elektorale Monarchie verwandelt, in der Urnengänge ohne Wahlmöglichkeiten inszeniert werden. Prognosen sagen Putin zwischen 60 und 70 Prozent Zuspruch voraus. Daher gleicht der Urnengang eher einer Vertrauensabstimmung des Volks über den Präsidenten.

Dennoch haben sich neun Anwärter gemeldet, die bis heute zwei Millionen Unterschriften vorlegen müssen. Siegeschancen hat keiner – bei Wahlen nichts Ungewöhnliches. Neu ist, dass keiner das Amt will. Die Aufgabe der Putin-Herausforderer beschränkt sich so auf zwei Ziele: die Präsidentenkür mit dem Schein einer echten Wahl zu ummänteln und dem gefährlichsten Widersacher, einer Beteiligung von weniger als 50 Prozent, ein Schnippchen zu schlagen.

Die altgedienten Widersacher des Kreml, der Kommunistenchef Gennadij Sjuganow und Grigorj Jawlinskij von der demokratischen Partei Jabloko, treten nicht an. Jabloko verzichtet ganz, während die Kommunisten mit dem Sowchosen-Exdirektor Nikolai Charitonow einen Mann aus der zweiten Reihe aufbieten, einen vehementen Verehrer des Gründers des sowjetischen Geheimdienstes, Felix Dserschinski. Seit Jahren fordert der Agrarier, dessen Denkmal wieder aufzustellen. Der Geheimdienst dankte ihm mit der Ernennung zum Reserveoffizier.

Mit dem Vorsitzenden des funktionslosen Oberhauses der Duma, Sergej Mironow, geht auch ein enger Vertrauter des Präsidenten aus Sankt Petersburg ins Rennen. Ihm winken zwar nur 0,5 Prozent der Stimmen, sie könnten aber bei der Wahlbeteiligung ausschlaggebend sein. „Wenn ein Führer in die Schlacht zieht, dem vertraut wird, darf er nicht allein gelassen werden. Jemand muss an seiner Seite stehen“, begründete Mironow sein Engagement. Das brachte ihm den Spitznamen Putins Doppelgänger ein.

Wladimir Schirinowski, dessen rechtsradikale Liberal-Demokratische Partei bei den Dumawahlen im Dezember den zweiten Platz belegte, hat sich auch nicht aufstellen lassen. Man munkelt, der großmäulige Hofnarr habe dem Drängen der Kreml-Administration nachgegeben, die um ihr internationales Renommee besorgt gewesen sein soll. Daher schickte der geniale Entertainer seinen Exleibwächter, den früheren Preisboxer und Vizeparteichef Oleg Malyschkin, in den Ring. Da kein politisches Schwergewicht, ist der auf Regieanweisungen des Ziehvaters angewiesen, der ihn beim ersten Pressegespräch ermahnte: „Mensch, schau doch mal in die Kamera!“

Mit von der Partie ist auch Sergej Glasew, Chef der national-sozialistischen Phantompartei Rodina, einer Kreml-Züchtung, die bei den Dumawahlen auf Anhieb über acht Prozent erhielt. Ein Karussell von Gauklern und Narren, könnte man meinen.

Wäre da nicht die liberale Politikerin Irina Chakamada, die sich selbst zur Kandidatin ernannte. Aus freien Stücken und ohne Unterstützung ihrer wirtschaftsliberalen Partei Union der Rechtskräfte. Der UdR drohte am Wochenende über der Frage, wen sie unterstützen solle, fast die Spaltung. Nach explosiver Debatte einigte man sich auf einen Kompromiss: keine Wahlempfehlung – weder für Chakamada noch Putin, den der Flügel des Mustertechnokraten Anatolij Tschubais unterstützt.

Nimmt Chakamada teil, würde sie der Wahlfarce den Anstrich der Legitimation verleihen, meinen Kritiker. Gerüchte, sie sei vom Kreml ermutigt worden, weist die Politikerin mit dem Verweis auf einen offenen Brief im Kommersant zurück. Sie hält Putin darin vor, die Geiselnahme im Musicaltheater Nord-Ost im Herbst 2002 ausgenutzt und einen friedlichen Ausgang verhindert zu haben. Chakamada hatte vor Ort Kontakt zu den Terroristen, die – so behauptet sie heute – die Geiseln nicht töten wollten. Der Kreml habe ihr strikt verboten, weiter zu vermitteln.

Chakamadas Vorwurf gleicht einem Tabubruch. Sie rechnet daher auch nicht mit dem Segen der Zentralen Wahlkommission, obwohl sie die erforderlichen zwei Millionen Unterschriften für die Kandidatur in Windeseile beisammen hatte. Fast so schnell wie Putin. In der Tat verdächtig.