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Archiv-Artikel

Hände heilen Mutter und Kind

Mit keineswegs neuen Methoden vollbringt die Osteopathie zwar keine Wunder. Doch sie hilft dem Körper, sich selbst zu heilen. Die Behandlung wirkt sowohl bei Schwangeren als auch bei Kindern mit Schwierigkeiten im Bewegungsapparat

Jonathans Mutter ist beeindruckt. Ihr acht Monate alter Sohn konnte in bestimmten Positionen seine Hüfte nicht richtig bewegen, auch einen Arm vernachlässigte er. Seine rechte Seite war „irgendwie blockiert“. Dem Rat der Physiotherapeutin und des Kinderarztes folgend, suchte die Mutter mit Jonathan einen Osteopathen auf. Der sah sich das Kind gründlich an und tastete es vorsichtig ab. „Dann machte er schwupp, schwupp, schwupp – und alles war in Ordnung“, so die Mutter. Auf Nachfragen erläutert sie, dass der Osteopath einige Stellen am Körper sanft angefasst und – etwa am Hals – sehr kleine Drehbewegungen ausgeführt habe. Sonst nichts.

Zauberei? Nein. „Die Osteopathie hilft dem Körper nur, sich selbst zu helfen“, sagt Thomas Hirth. Der ausgebildete Osteopath erklärt, wie diese Therapieform funktioniert. Osteopathie geht davon aus, dass „Leben Bewegung des Gewebes ist, betrachtet den Körper als Einheit und weiß, dass Struktur und Funktion sich gegenseitig beeinflussen“. Das wohl wichtigste Prinzip der Osteopathie jedoch ist, dass der Körper die Fähigkeit hat, sich selbst zu heilen.

Treten nun an einer Stelle des Körpers Schmerzen auf, muss hier nicht zwingend die Ursache für das Leiden liegen. Oftmals sei es vielmehr so, sagt Hirth, dass „Bereiche, die Symptome verursachen, Überstunden leisten müssen für Bereiche, die erschöpft sind“. Kommt es dann über längere Zeit zu Fehlbelastungen etwa bestimmter Teile der Wirbelsäule, können „sich Wirbel blockieren und bei Entlastung nicht mehr von allein den Rückweg zur normalen Funktion finden“. Hier greift der Osteopath ein.

Das einzige Instrument des Therapeuten sind seine Hände. Mit ihnen fühlt er sich in den zu behandelnden Körper ein, spürt die Dynamik der Gewebe, die Schwachstellen und Blockierungen auf und gibt auch die Anregung zur Selbstheilung. Die Berührungen sind mitunter so sanft, dass der Patient sie kaum spürt. Aber selbst festere Handgriffe sind nie schmerzhaft. Zwischen den einzelnen Behandlungen lässt man dem Körper ausreichend Zeit, selbst wieder ins Gleichgewicht zu kommen.

Je weniger lange dieser Körper sich bislang mit dem Problem herumgeschlagen hat, umso leichter ist es natürlich, ihn wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Gerade Babys und Kinder sprechen deshalb besonders gut auf die osteopathische Therapie an. In den USA ist es durchaus üblich, Säuglinge routinemäßig dem Osteopathen vorzustellen – sicherheitshalber. So weit würde Thomas Hirth nicht gehen. Doch wenn Symptome auftreten, sei ein Besuch sicher sinnvoll. Allerdings solle man nichts überstürzen. Eine Geburt bedeutet nicht nur für die Mutter, sondern auch für das Kind eine ungeheuerliche Kraftanstrengung. Beim Durchtritt durch den Geburtskanal wird etwa der Kopf des Kindes extrem zusammengeschoben, weil es ihn sonst nicht passieren könnte. Normalerweise „entknautscht“ sich hinterher alles von selbst wieder. Funktioniert das nicht, kann es zu Störungen in allen möglichen Bereichen kommen, die jedoch osteopathisch leicht zu behandeln sind.

Darüber hinaus muss man den Kleinen natürlich erst einmal Zeit lassen, sich an die völlig veränderten Lebensbedingungen nach der Geburt anzupassen. Mit zwei bis drei Wochen allerdings könnte ein Besuch beim Osteopathen sinnvoll sein. Behandelt wird beispielsweise bei Stillproblemen oder Koliken. Auch Kinder, die sehr viel schreien und auch nach einer bestimmten Zeit nicht zur Ruhe kommen, könnten schlicht Anpassungsprobleme haben, die wiederum gut zu behandeln sind.

Doch nicht nur der Nachwuchs kann von dieser Behandlungsmethode profitieren. Auch zahlreiche Schwangerschaftsbeschwerden können so erträglicher gemacht oder ganz behoben werden. Gerade in der Schwangerschaft muss sich der Körper ja durch den permanent wachsenden Uterus ständig neu einrichten und alle Funktionen müssen sich an die Veränderungen anpassen. So kann es passieren, dass Frauen, die vor der Schwangerschaft nie Rückenschmerzen hatten, obwohl sie schon immer eine Skoliose hatten, jetzt mit dem wachsenden Bauch diese Fehlhaltung nicht mehr ausgleichen können und unter starken Schmerzen leiden. Umgekehrt kann es durch die veränderte Lage aller Organe im Bauchraum auch passieren, dass Rückenschmerzen in der Schwangerschaft plötzlich verschwinden.

Die Anfänge der Osteopathie reichen bis ins vorletzte Jahrhundert zurück. Der amerikanische Arzt Andrew Taylor Still hat das Grundkonzept dieser Methode bereits 1874 vorgestellt. Seit Beginn des letzten Jahrhunderts entwickelte sich die Osteopathie vor allem in den USA, England, Frankreich und Belgien ständig weiter. Seit 1988 wird sie in Deutschland berufsbegleitend unterrichtet, seit 1995 gibt es einen eigenständigen Berufsverband. Der Verband führt auch eine Liste von Osteopathen, die über eine qualifizierte fünfjährige Ausbildung verfügen.

Die einzelnen Behandlungen dauern etwa eine Stunde und kosten durchschnittlich 45 bis etwa 70 Euro. Die Kosten müssen meist privat gezahlt werden. Doch eine Nachfrage bei der Versicherung kann sich dennoch lohnen. Werden die Kosten für Heilpraktiker übernommen, kann meist auch der Osteopath über die Kasse abgerechnet werden.

Bei Babys und Kleinkindern reichen den Angaben zufolge oft schon zwei oder drei Behandlungen aus. „Osteopathie ist grundsätzlich keine Lebensabschnittsbegleitung“, weiß Hirth. Selbst in hartnäckigeren Fällen sollte nach drei bis vier Behandlungen eine Besserung eintreten. Wo nicht, müsse man nach anderen Ursachen suchen. Der kleine Jonathan hat den Osteopathen bislang übrigens nicht wieder gesehen – und den rechten Arm benutzt er inzwischen ohne Probleme. KATHARINA JABRANE