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Archiv-Artikel

Chatami: Die Wahlen finden statt

Die Auseinandersetzung um die Kandidatenzulassung im Iran lässt die Mehrheit der Bevölkerung unberührt. Denn der politische Streit spielt sich ausschließlich innerhalb des islamischen Lagers ab. Die Reformer haben sich auf dieses Spiel eingelassen

VON BAHMAN NIRUMAND

Irans reformorientierter Präsident Mohammed Chatami hat gestern klargestellt, dass die Parlamentswahlen am 2. Februar stattfinden werden. Zuvor hatten mehrere Reformer in der Regierung aus Protest gegen die Ablehnung von mehr als 3.000 Kandidaten durch den konservativen Wächterrat mit der Absage der Wahlen gedroht.

Ziel der Ablehnung ist die Rückeroberung des Parlaments, in dem die Reformer die absolute Mehrheit haben. Sollte es bei den Ablehnungen bleiben, wären die Konservativen in 190 Wahlbezirken ohne Konkurrenz. Damit wäre ihnen die absolute Mehrheit im künftigen Parlament mit 290 Sitzen sicher. Die Reformer leisten gegen diese „Vorwahl“ nachdrücklich Widerstand. Demgegenüber wollen die Konservativen ihre Linie offenbar bis zum Ende durchpeitschen.

Auffallend ist, dass die Auseinandersetzungen das Volk, bis auf wenige Gruppen von Studenten und Intellektuellen, mehr oder weniger unberührt lassen. Grund für diese Passivität ist nicht nur die seit Jahren erfolgte Abkehr von den Konservativen und die große Enttäuschung über die Reformer. Noch wichtiger ist der Umstand, dass die herrschende Geistlichkeit von Anbeginn einen großen Teil des Volkes von der Teilhabe an der politischen Gestaltung des Landes ausgeschlossen hat. Das Regime hat unmittelbar nach der Gründung der Islamischen Republik 1979 eine rote Linie gezogen zwischen den Kräften innerhalb des islamischen Lagers, die offiziell als „eigene“, und denen außerhalb dieses Lagers, die als „nicht eigene“ bezeichnet wurden. Die Linie durfte niemals überschritten werden.

Diese Einteilung gilt auch für die Wahlen. Das Volk durfte zwar wählen, doch gewählt konnten und können nur jene Kandidaten werden, die aus dem islamischen Lager stammen. So betrachtet, hat es in der 25-jährigen Geschichte der Islamischen Republik nie freie Wahlen gegeben. Sämtliche Parteien und Gruppen außerhalb des islamischen Lagers sind verboten. Selbst eine Organisation wie die „Freiheitsbewegung“, die einst zu den tragenden Pfeilern des islamischen Staates gehörte, wird inzwischen von den Islamisten als illegal eingestuft. Sämtliche Kandidaten, die aus dem „anderen Lager“ stammen, werden kategorisch abgelehnt, selbst dann, wenn sie auf die Verfassung der Islamischen Republik Treue schwören.

Die gegenwärtigen Auseinandersetzungen um die Zulassung der Kandidaten werden innerhalb des islamischen Lagers geführt. Somit wären die Wahlen, selbst wenn die Reformer ihre Forderung nach der Rücknahme der Ablehnungen durchsetzen könnten, noch lange nicht frei. Die Reformer um Präsident Chatami haben trotz ihrer Bekenntnisse zu Demokratie und freien Wahlen nie den Versuch unternommen, die von Islamisten festgesetzte rote Linie zu überschreiten. Das ist vielleicht ihr größtes Versäumnis gewesen. Sie hätten sich, statt um Kompromisse mit den Rechten zu ringen, nach außen öffnen müssen. Denn ohne diese Kraft, die inzwischen die überwiegende Mehrheit des Volkes bildet, werden sie niemals die Übermacht der Konservativen brechen und ihre Forderungen durchsetzen können. Für dieses Versäumnis werden sie bei den Wahlen, bei denen eine niedrige Beteiligung erwartet wird, einen teuren Preis zahlen müssen.