: Ein kleines bisschen Krise
Über der Internationalen Tourismusbörse in Berlin (ITB) schwebten Kriegsangst, Terrorbedrohung und Rezension. Doch trotz Buchungsflaute und verunsicherten Konsumenten: Weltweit war das Jahr 2002 ein Highlight des internationalen Tourismus
von EDITH KRESTA
Bedrückte Stimmung bei den Reisebuch-Verlagen. „Der Verkauf in den Monaten Januar und Februar lief schleppend“, sagt Marion Zorn von Marco Polo. Dabei sind dies normalerweise die besten Monate. Doch offensichtlich sind die potenziellen Kunden dieses Jahr noch unentschlossen oder sparen ausgerechnet am informativen Reiseführer. Auch die Reisebüros klagen. Kein Wunder, der Trend zu Internet, Billigfliegern und Last-Minute-Angeboten ist ihren Geschäften nicht gerade zuträglich. Bei jeder elften Reise ist das Internet dabei. Die Zahl der One-Line-Buchungen in Deutschland wächst. Auch die Großveranstalter TUI und Thomas Cook suggerieren wirtschaftliche Flaute. Sie sparen und setzen eine betriebsinterne Rationalisierung in Gang, die sie auf dem Markt kokurrenzfähiger machen soll und fit für den weiteren Verdrängungswettbewerb. Krise in der Reisebranche? Der Branche, die sich immer hoffnungstrunken präsentierte und expandierte? Mitnichten.
Über der Internationalen Tourismusbörse in Berlin (ITB) schwebten Kriegsangst, Terrorbedrohung und die wirtschaftliche Rezession. Diese Gemengelage hat zu einer Buchungsflaute geführt und zur Verunsicherung der Konsumenten. Ein schleppendes Urlaubsjahr 2003 für deutsche Touristiker. Dramatische Entwicklungen im Gesamtmarkt seien jedoch nicht zu erwarten, meint die Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reise (FUR), die alljährlich das Reiseverhalten der Deutschen untersucht und analysiert. Die Reiseintensität 2002 in Deutschland sei zwar leicht rückläufig – sie ist von 76,1 Prozent im vergangen Jahr auf 75,3 Prozent zurückgegangen. „Doch vor dem Hintergrund der gewandelten Rahmenbedingungen erscheinen die 2002 erreichten Werte erstaunlich stabil“, sagt Peter Aderhold von FUR.
Und nicht nur die Deutschen reisen weiter. Ausgerechnet das Krisenjahr 2002 war mit 2 bis 3 Prozent Wachstum weltweit ein Highlight der Tourismusgeschichte. Vor allem China und Indien sind die neuen Wachstumsmärkte. Angesichts des wachsenden Zustroms von Touristen in den asiatisch-pazifischen Raum prognostizieren Reiseexperten diesen Ländern eine goldene Zukunft.
Schon jetzt ist die Zahl der Ankünfte hier zweimal so hoch wie der globale Durchschnitt. Auf die Region, wo zwei Drittel der stetig wachsenden Weltbevölkerung zu Hause sind, konzentrieren sich 60 Prozent des globalen Tourismus. Allein innerregionale Reisen decken 70 Prozent der Ankünfte ab. Von einem neuen Motor für den globalen Reise- und Tourismusboom mit China und Indien an der Spitze spricht Peter de Jong, Vorsitzender und Geschäftsführer der Pacific Asian Tourism Association. „Mit einem geschätzten jährlichen Bruttoinlandsprodukt von 5,5 Prozent in den nächsten fünf Jahren wird der asiatisch-pazifische Raum den Rest der Welt ausstechen.“ Allein für China hält der Experte ein Wachstum von 8 Prozent für realistisch. Vietnam zieht mit 7 Prozent und Indien mit 6 Prozent nach.
Die Frage, warum gerade Asien und der Pazifik eine derartige Anziehungskraft auf Urlauber ausüben, war Thema auf der ITB. Vor den Ständen Chinas, Hongkongs, Singapurs, Thailands, Japans, Australiens und Neuseelands standen Menschentrauben. Und das, obwohl der Anteil der Fernreisen auf dem deutschen Markt den schwächsten Wert seit fünf Jahren erreicht hat. Die Negativentwicklung betrifft sämtliche Kontinente.
Vor einem geschäftsschädigenden drohenden Krieg suchen sich die Deutschen nähere Ziele. Zu Hause bleiben sie nicht. „Die Urlaubsreisen sind heute ein normales Kulturgut, auf das Deutsche nur unter extremen Umständen zu verzichten bereit sind“, vermutet Peter Aderhold, der „Mister Reiseanalyse“ von FUR. Extreme Bedingungen, das sind Krieg und Terror. „Anfang 2003 spielt bei 40 Prozent der Deutschen die Gefahr von Terroranschlägen bei der Reiseentscheidung eine Rolle.“ Gründe dafür sieht FUR in der Medienberichterstattung über den drohenden Krieg und die sich daraus ergebende Gefahr von Terroranschlägen.
Das wirkt sich vor allem auf die arabischen Länder, aber auch auf die Vereinigten Staaten und die Karibik aus. Diese Länder mussten nachhaltige Einbußen hinnehmen: Die Pauschaltouristen-Hochburg Tunesien hatte 34 Prozent Rückgang, die USA 30 Prozent, die Karibik 25 Prozent. Der Trend geht von der Fernreise zu den näheren Zielen, und Spanien und Italien verlieren an die Türkei, Kroatien und Slowenien. Bus und Pkw steigen wieder in der Beliebtheitsskala – trotz des Höhenflugs der Billigflieger, denen die Experten von FUR ein großes Potenzial bescheinigen.
Des Deutschen liebstes Reiseziel ist nach wie vor Deutschland. Und es steht auch auf Grund der weltpolitischen Lage für immer mehr ausländische Gäste auf der Liste der Ferienziele. Hoffnungsvoll blicken deutsche Touristiker von Deutschland aus nach Spanien, Russland, den baltischen Staaten, in die arabische Golfregion – und vor allem gen China. Die ersten chinesischen Privatreisenden, die jüngst bayerischen Boden betraten, erscheinen wie die neuen Heilsbringer – mancher glaubt schon, nunmehr gehe selbst die Sonne überm deutschen Touristikmarkt im Osten auf. Zumal den Chinesen der Ruf vorauseilt, sie seien in Sachen Urlaubs-Shopping durchaus zum Marktsanierer geeignet.
Mehr Informationen zur Reiseanalyse unter www.fur.de