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Archiv-Artikel

Brüssel will Datenmüll zu Leibe rücken

Zwei Arbeitsstunden im Jahr verbringen Internetnutzer mit dem Löschen von unerwünschten E-Mails. Das kostet 10 Milliarden Euro, Tendenz steigend. Die Europäische Union verspricht Abhilfe – doch ob das vorgelegte Konzept ausreicht, ist fraglich

AUS BRÜSSEL DANIELA WEINGÄRTNER

Der wachsende Datenmüll bereitet der Europäischen Union (EU) Sorgen. EU-Kommissar Erkki Liikanen nannte gestern dramatische Zuwachsraten: Während die unerwünschte Post 2001 nur sieben Prozent des E-Mail-Verkehrs in der EU ausgemacht habe, war es im vergangen Jahr bereits mehr als die Hälfte.

Nach einer kürzlich veröffentlichten Studie verursachen die so genannten Spam-Mails derzeit bei privaten Internetkunden Kosten von etwa 10 Milliarden Euro im Jahr. Der Schaden für Unternehmen soll doppelt so hoch sein. Bis 2007, so rechnet die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) vor, werden sich die Kosten verzehnfachen. Angebliche Millionen-Erbschaften in Nigeria, Wunderpillen oder Website-Werbung – wer täglich nur sechs Spam-Mails erhalte, verbringe immerhin zwei Arbeitsstunden im Jahr damit, den Müll aus seiner Mailbox zu beseitigen. Dass das Problem rasant zunimmt, zeigen Umfragen. Jeder dritte Internetnutzer beschäftigt sich demnach mehr als zwanzig Minuten pro Tag mit unerwünschten E-Mails.

Die Antwort der Politiker auf diese Herausforderung klingt allerdings nach den typischen Placebos für hoffnungslose Fälle: Bessere internationale Zusammenarbeit, Aufklärung der Öffentlichkeit über sicheres Surfen im Web, Umsetzung der EU-Richtlinie zum Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation, Einrichtung einer europäischen IT-Sicherheitsagentur mit Sitz in Griechenland. Die OECD will sich Anfang nächster Woche in Brüssel mit dem Thema befassen. „Jeder derzeit vorliegende Vorschlag, wie mit Spam verfahren werden soll, hat seine Grenzen“, heißt es selbstkritisch in der Einladung. „Die Sender verbergen ihre Identität oft sehr wirkungsvoll und operieren vom Ausland aus.“

Eine EU-Richtlinie vom Sommer 2002 sieht vor, dass E-Mail-Adressen nur mit Zustimmung des Absenders verbreitet werden dürfen. Dieses „Opt-in-Modell“ ist aber von mehreren Mitgliedstaaten, darunter Frankreich, Schweden und Holland, noch nicht in nationales Recht umgesetzt worden. Deshalb hat die Kommission gegen diese Länder Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet. In Dänemark, wo das Gesetz schon in Kraft ist, ging kürzlich ein Gerichtsverfahren mit Abschreckungseffekt zu Ende. Ein Unternehmen, das millionenfach unerwünschte Werbemails verschickt hatte, wurde zu 55.000 Euro Strafe verurteilt.

Doch der finnische EU-Kommissar Liikanen hatte auch Erfreuliches mitzuteilen: Er zeigte sich zuversichtlich, dass die Europäische Union ihren Spitzenplatz im Bereich Informationstechniken zurückerobern kann. Zwar verzeichnet Hauptkonkurrent USA seit zwei Jahren höhere Zuwachsraten als die EU. Doch habe die neue Breitbandtechnik einen „Produktivitätsschub“ ermöglicht. Bei der Online-Organisation internationaler Unternehmen und dem Aufbau mobiler Datennetzwerke sieht er gute Anwendungsmöglichkeiten und Wachstumschancen.