: Hasch mich, ich bin der Sowjetagent
26 Jahre nach seiner Verhaftung kommt der in den USA als KGB-Spion verurteilte Christopher Boyce heute wieder frei
WASHINGTON taz ■ Er wurde geliebt vom KGB, verehrt von den Hippies und gehasst von der CIA. Seine Karriere als jugendlicher Topspion war zu Ende, bevor sie richtig begann. Sein halbes Leben hat Christopher Boyce im Gefängnis verbracht. Ab heute ist er wieder ein freier Mann.
Boyce, aufgewachsen als begabter Schüler in Los Angeles während Vietnamkrieg und Bürgerrechtsbewegung, hatte keine Lust auf ein bürgerliches Leben. Viel lieber rauchte er Marihuana. „Ich war damals sehr rebellisch“, sagt er später.
Doch Drogen kosten Geld. Sein einflussreicher Vater, einst FBI-Chef, verhalf ihm zu einem Job in einer Firma der Raumfahrtindustrie, die für das legendäre „Spy-in-the-Sky-Project“ verantwortlich war und Spionagesatelliten über Russland einsetzte. Boyce wurde schließlich das Sicherheitsmanagement übertragen. Er erhielt Zugang zu den Geheimcodes der Satelliten und den Daten, die sie zum CIA-Hauptquartier funkten.
Der Verrat begann als Lausbubenstück. Beim Kiffen hatten sein Freund Andrew Lee und er die Idee, die brisanten Informationen zu Geld zu machen. Außerdem könnten sie so dem verachteten Staat eins auswischen. Boyce kopierte das Material, schmuggelte es nach Hause, und Lee arrangierte die Übergabe an KGB-Agenten in der sowjetischen Botschaft in Mexiko. Sie verkauften stapelweise geheime Dokumente für zehntausende Dollar. Doch 1977 flogen sie auf. Mit 24 Jahren wurde Boyce zu 40 Jahren Gefängnis verurteilt.
Vom ersten Tag an plante Boyce seine Flucht. 1980 gelang der Ausbruch. 19 Monate tauchte er unter – es war „ein Leben aus Angst, Jagd und Flucht“. Er überfiel Banken und hoffte, sich eine Passage in die Sowjetunion kaufen zu können. Im November 1981 wurde er gefasst, seine Haft auf 63 Jahre erhöht.
Er begann zu malen, wie besessen zu lesen und Artikel für Zeitungen zu schreiben. Sein Fall faszinierte die Öffentlichkeit. Als 1985 der Film „Der Falke und der Schneemann“ in die Kinos kam, dessen Titel sich auf Boyce’ Liebe zu Vögeln und Lees Drogenprobleme bezog, wurde er zu einem Gefängnisstar.
Die Wende kam unerwartet. Seit Ende der 80er-Jahre wurde er regelmäßig nach Washington beordert, um vor dem Geheimdienstausschuss des US-Senats auszusagen, wie man in Zukunft Spionage à la Boyce verhindern könne. Seine bereitwillige Zusammenarbeit weckte Sympathie bei den Senatoren, die meinten, er habe somit einen Teil des von ihm angerichteten Schadens wieder gutgemacht. Die Verachtung über seinen Verrat verflüchtigte sich in den 90er-Jahren, als Terroristen den Platz als Hauptfeind einnahmen.
Nach einem langwierigen Begnadigungsverfahren wurde seine Strafe in Bewährung umgewandelt. Boyce hatte Glück. Er wurde verurteilt, bevor der US-Kongress die Bewährung für Häftlinge in Bundesgefängnissen abschaffte. Es sei ein schwerer Fehler, sagte der heute 50-Jährige vor der Entlassung zur Los Angeles Times, Gefangenen, die einen wirklichen Wandel hinter sich haben, die Chance auf eine Rehabilitierung zu verweigern. MICHAEL STRECK