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Archiv-Artikel

Ein bisschen Spaß muss wohl sein

Die US-Feministin und Anti-Globalisierungsaktivistin Jean Grossholtz berichtet im Kölner Piccolo-Theater vom Weltsozialforum in Bombay – bei den begeisterten Zuschauern stoßen ihre teilweise sehr einfach gestrickten Thesen auf positive Resonanz

VON Susanne Gannott

Der Versuch, in zwei Stunden zu erklären, was Globalisierung ist, welche Folgen sie hat und was man dagegen tun kann, scheint aussichtslos, trifft aber immer auf dankbares Interesse: So kamen am Dienstag Abend rund 50 Interessierte ins kleine Piccolo-Theater, um sich von einer leibhaftigen Anti-Globalisierungsaktivistin erzählen zu lassen, wie das Weltsozialforum (WSF) in Bombay die derzeitige Weltlage analysiert hat.

Nicht sonderlich fundiert, fand die US-Amerikanerin Jean Grossholtz: Die 75-jährige Feministin und emeritierte Politikprofessorin kritisierte, Bombay sei „kein Ort für vernünftige Diskussionen“ gewesen, sondern eine Selbstfeier der Bewegung und Gelegenheit für den „Öko-Tourismus junger Leute“. Das Publikum nahm das kritische Fazit gelassen; mancher Zuhörer signalisierte mit leisem Kichern sogar wissende Zustimmung, als Grossholtz das WSF als die „chaotischste Konferenz“ bezeichnete, auf der sie je gewesen sei. Und als die energische alte Dame mit heftigem Armrudern beschrieb, wie sie am Staub in dem Bombayer Tagungsort, einer Fabrikhalle, fast erstickt sei, kam sogar allgemeine Heiterkeit auf.

Ernsthafter wurde dann wieder, als Grossholtz von der Moderatorin Anneliese Fikentscher zu den Thesen der indischen Schriftstellerin Arundhati Roy befragt wurde. Roy hatte auf dem WSF dazu aufgerufen, sich dem irakischen „Widerstand“ anzuschließen und gegen US-Konzerne vorzugehen, die vom Irakkrieg profitieren. In den Medien war dies vielfach als Aufruf zur Gewalt gegeißelt worden. Grossholtz dagegen interpretierte Roys Aussage als Versuch, neue Protestformen zu entwickeln. Nach den weltweiten Protesten am 15. Februar 2003 stelle sich die Frage, wie man den offenbar global vorhandenen „Zorn und Ärger“ in adäquate Aktionsformen überführen könne. „Viele Menschen ziehen sich zurück, weil sie denken, Großdemos bringen nichts mehr“, glaubt Grossholtz. Auch wenn Gewalt gegen Menschen weiter tabu bleiben müsse: Die Bewegung bräuchte neue direkte und kreative Formen des Protests.

Dieses Stichwort nahm das Publikum dankbar auf. Eine ältere Frau fragte nach konkreten Vorschlägen, denn „wir Deutsche tun uns so schwer mit kreativen Aktionen, wir wollen immer nur demonstrieren und Reden halten“. Grossholtz schlug vor, Zettel zu fabrizieren mit Parolen wie „Bush ist ein Verbrecher und muss weg“ und die zum Beispiel auf öffentlichen Toiletten anzubringen – so mache sie es auch. Mit begeistertem Lachen nahm das Publikum auch die Erzählung einer anderen Zuschauerin auf, die von einer Anti-AKW-Fahrradtour berichtete. Beim Stopp in Ahaus hätten die Protestler den dort tagenden Atommanagern einfach das Mittagessen weggegessen.

Spätestens an diesem Punkt war klar, dass die Veranstaltung vor allem von gegenseitiger Selbstvergewisserung getragen war. Kritische Nachfragen zu den teilweise sehr simpel gestrickten Thesen Grossholtz‘ unterblieben. Beim Thema Irak-Krieg etwa ging die Diskussion nicht über die gute alte „Blut für Öl“-Theorie hinaus: Zwar wird die These, dass die US-Regierung inzwischen vollständig von den Konzernen „privatisiert“ sei und nach deren Pfeife tanze, inzwischen auch im bürgerlichen Feuilleton gedruckt. Auch dass es im Irak vor allem um die Interessen der Öl-Industrie gegangen sei, gilt heute nicht mehr als abwegige Verschwörungstheorie. Mehr kam dann allerdings nicht: Eine tiefsinnigere Analyse der Kriegsursachen und aktuellen Entwicklungen im Irak blieb aus. Aber die wollte das Publikum offenbar auch gar nicht hören.

Bezeichnend für die Geisteshaltung des Publikums war auch, dass es einer Bemerkung von Grossholtz im Zusammenhang mit den Bürgerrechtsbeschränkungen nach dem 11. September nicht widersprach: Da beschuldigte sie Justizminister Ashcroft, der die umstrittenen „Patriot Acts“ umsetzt, sein Ministerium „wie ein SS-Lager“ zu führen und bezeichnete das Gefangenenlager in Guantanamo als KZ.

Dass inzwischen offenbar auch unter deutschen Linken Vergleiche dieser Art wieder en vogue sind, konnte man allerdings schon zu Beginn des Abends feststellen. Da versuchte die Moderatorin, einen Zusammenhang zwischen dem Ausschwitz-Gedenktag und der Veranstaltung zu ziehen. Am 27. Januar gedenke man schließlich der Opfer des Nationalsozialismus „und wir gedenken heute der Opfer des Neoliberalismus“.