: Baden-Württemberg: Elite von Geburt
Alle reden über Elite, im Südwesten wird sie schon von klein auf gezüchtet. Baden-württembergische Viertklässler sind in den Naturwissenschaften die besten Europas und auf Platz 3 der Welt. Doch der Erfolg der Eleven hängt vom Stand der Eltern ab
AUS BERLIN CHRISTIAN FÜLLER
Eine Schülerin fragte hinterher: „Ist die Schavan eigentlich immer so glücklich?“ Annette Schavan (CDU), Kultusministerin Baden-Württembergs, ist gewiss eine lebenslustige Frau, aber derart strahlen kann auch sie selten. Gestern durfte sie. Ihre Grundschüler nämlich haben ein glanzvolles Ergebnis beim internationalen Lesetest „Iglu“ abgeliefert. Die Viertklässler in Stuttgart, Mannheim, Tübingen, Konstanz usw. sind die Könige von Deutschland. Und sie zählen sogar zu den besten Grundschülern weltweit.
Das Ergebnis der kleinen Schwaben und Badener bezeugt ein echtes Eliteprofil: In den Naturwissenschaften ist Baden-Württemberg die mit Abstand beste europäische „Nation“ – vor Bayern – und liegt weltweit auf Platz 3, punktgleich mit Japan. Auch beim Anteil der Schüler mit exquisiten Leseleistungen reicht Baden-Württemberg mit 21 Prozent an die Weltspitze heran. Die Zahl der Risikoschüler ist dafür (in Deutschland) am geringsten. In einer Wertung ist das Bundesland gar Weltmeister – im Abstand der Lesefähigkeit zwischen Jungen und Mädchen. Während weltweit die Mädchen den Jungs beim Lesen davoneilen, kann Schavans Musterland diese Differenz sehr gering halten.
Kein Wunder also, dass sich Ministerin Schavan generös gab. Sie lobte die deutsche Grundschule über den grünen Klee. „Das ist die modernste Schulart in Deutschland“, schwärmte sie – und vergaß nicht zu erzählen, welches Bundesland in der Primarstufe die Reformakzente setzte: ihr eigenes. Mit dem Schulanfang auf neuen Wegen zum Beispiel, das ist die drei Jahrgänge übergreifende Startphase, bei der bereits Fünfjährige in eine – allerdings völlig andere – Schule gehen.
Der rauschende Applaus für die Eleven aus dem Südwesten hat freilich einen bösen Nachhall. Denn die junge Elite Baden-Württembergs ist eine fast lupenreine Geburtselite. Schavans Grundschule kann so gut sein, wie sie will. Den Ausschlag bei der Gymnasialempfehlung gibt nicht etwa Leistung, sondern Herkunft. Zu Deutsch: In keinem Bundesland ist die Abhängigkeit des Schulerfolgs so fest an die soziale Herkunft geknüpft. Im Bild gesprochen: Die Tochter eines deutschen Arztes hat eine viel größere Chance, auf die Eliteanstalt Gymnasium zu kommen, als die Tochter einer türkischen Putzfrau – und das bei identischer kognitiver Leistung. Oder in Zahlen ausgedrückt: Die Wahrscheinlichkeit, das Gymi zu erreichen ist – erneut bei gleicher Leistung – für Zöglinge oberer Sozialschichten um 563 Prozent höher als für „Arbeiterkinder“.
Der Leiter der Iglu-Studie, Wilfried Bos, erläuterte, wie so was kommt: Lehrer sprächen die Gymnasial-Empfehlung für ein Akademikerkind öfter aus, weil sie damit rechnen, dass Papi und Mami ihm helfen, die Hürden der Penne zu überwinden. „Das ist so“, argumentierte Bos, „nur richtig ist das nicht, denn die Schule muss für alle Kinder die gleiche Förderung anbieten.“
Und die Schavan? Schwieg sie? Errötete sie? Weinte Sie? Nichts von alledem. Sie ging’s offensiv an. „Wer ein gegliedertes Schulwesen hat, muss für ein höheres Maß an Durchlässigkeit sorgen“, gestand sie. „Das ist eine Frage der Gerechtigkeit. Und Gerechtigkeit“, so fuhr sie in einem Stil fort, den sie zwei Jahre lang bei Pisa-Untersuchungen tunlichst vermied, „Gerechtigkeit ist eine zentrale Frage für unser Bildungswesen.“